Obermayer German Jewish History Award

Rolf Schmitt

Bruchsal, Baden-Württemberg

Im Jahr 2008 sah Rolf Schmitt einen Film über die Zerstörung seiner Stadt, Bruchsal, durch amerikanische und britische Bomber am 1. März 1945. Im Abspann wurde eine Liste von rund 1.000 Bruchsaler Bürgern gezeigt, die an diesem Tag getötet wurden. Ein guter Freund fragte Schmitt: „Warum wurden da keine jüdischen Menschen, keine jüdischen Namen genannt?“ Das war eine Initialzündung für Schmitt, sich auf die Suche zu machen, um eine Antwort auf die Frage zu finden.

Im Zuge seiner Recherchen zur Bruchsaler jüdischen Vergangenheit fand Schmitt heraus, dass ein ehemaliger jüdischer Geschäftsmann, Otto Oppenheimer, ein bekanntes Lied zu Bruchsal geschrieben hatte, De Brusler Dorscht (Der Bruchsaler Durst), das heute noch gesungen wird. Oppenheimer musste 1938 in die USA fliehen, und nicht mehr viele in Bruchsal erinnerten sich daran, dass ein jüdischer Mitbürger das Lied geschrieben hatte. Schmitt startete daraufhin eine Initiative zur Benennung einer Straße oder eines Platzes nach Oppenheimer, doch „zunächst zeigte die Gemeinde wenig Interesse, niemand war an dem Thema interessiert“, erinnert sich Schmitt.

Er verfolgte seine Idee beharrlich weiter und schrieb unter anderem einige Artikel, auch für die Jüdische Allgemeine, mit denen er versuchte Druck auf die Stadt auszuüben, um den historischen Beitrag von Oppenheimer zu würdigen. Schmitts Ziel war die Umbenennung des Holzmarktes, bis 1945 Adolf-Hitler-Platz, in Otto-Oppenheimer-Platz. Nach einem langwierigen Diskussionsprozess war Schmitt im Jahr 2011 schließlich erfolgreich, der Platz wurde umbenannt. Das war jedoch nur der Anfang, „denn Otto Oppenheimer war nicht der einzige jüdische Mitbürger. Vor dem Krieg hatten 700 Juden in Bruchsal gelebt, und diese sind alle nicht mehr da“, sagt Schmitt: „Damit fing mein Interesse an den jüdischen Mitbürgern von Bruchsal an.“

Michael Simonson vom Leo Baeck Institut erklärt dazu: „Durch die Geschichte der Familie Oppenheimer und die Umbenennung des Platzes wurde noch so viel mehr ans Licht gebracht – andere Namen, Details der damaligen Ereignisse, Geschichten von Flucht und Kollaboration – und in der Stadt entwickelte sich eine Atmosphäre der Entschlossenheit, noch mehr herauszufinden. Schmitt hat sich unermüdlich und mit großer Leidenschaft für das Gedenken an die jüdische Vergangenheit von Bruchsal eingesetzt und ist damit zweifellos die führende Persönlichkeit im Versöhnungsprozess zwischen Deutschen und Juden in seiner Stadt.”

Im Zuge seiner Recherchen eruierte Schmitt, dass vor dem Krieg 700 bis 900 Juden in der baden-württembergischen Stadt gelebt hatten und um die 120 von ihnen am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs im Südwesten Frankreichs deportiert wurden. Er recherchierte die Familiengeschichten, führte Interviews und kontaktierte die Nachfahren einstiger Bruchsaler Juden. Außerdem initiierte er die Verlegung der ersten Stolpersteine in der Stadt, womit er jedoch erneut auf öffentlichen Widerstand stieß.

„Da gab es Argumente wie ,So etwas brauchen wir nicht. Wenn wir mal viel Geld haben, errichten wir ein Denkmal für diese Menschen‘“, erinnert sich Schmitt. „In einer E-Mail hieß es sogar, die Stadt müsste 120.000 Euro für die Herstellung der Stolpersteine zahlen, was total abstrus war.“ Ein weiteres Mal blieb Schmitt beharrlich und gewann schlussendlich die Unterstützung des Gemeinderats. 2014 gründete er die Koordinationsgruppe Stolpersteine, die seither 21 Stolpersteine in der Stadt verlegt hat. 2017 und in den Folgejahren will die Gruppe, die auch einen örtlichen Lehrer und seine Schüler für das Projekt begeistern konnte, jeweils 10 bis 12 Stolpersteine verlegen.

„Im ersten Jahr war es noch meine Aufgabe, die Namen und Häuser zu finden. Inzwischen hat das aber die örtliche Schule übernommen“, sagt Schmitt. „Es ist sehr wichtig, dass sich junge Menschen an der Suche nach diesen Familien beteiligen. Es ist wichtig zu wissen, was damals passiert ist, und sich dafür einzusetzen, dass so etwas nie wieder geschehen kann. Wenn man diese Geschichte vergisst, kann jederzeit jemand kommen und das Gleiche tun. Wer nicht weiß, was ein totalitäres System für die Menschen bedeutet, kann nicht dagegen ankämpfen. Die jungen Menschen müssen wissen, was damals geschehen ist.“

Schmitt wurde 1951 in Hemsbach nahe Mannheim geboren und kam als Kind nach Bruchsal, wo er ohne seinen Vater aufwuchs, der als Soldat im 2. Weltkrieg gedient hatte und „seinen Hass auf die Juden niemals ablegte. Er blieb bis zu seinem Tod Antisemit“, sagt Schmitt. In der Schule wurde Schmitt zwar deutsche Geschichte vermittelt, aber die Lehrer „machten Geschichtsunterricht immer nur bis 1933, also bis vor den Holocaust bzw. Nationalsozialismus. Sie redeten nicht darüber und ich erfuhr in der Schule nichts zu dem Thema.“

Seit Jahrzehnten belastet Schmitt eine Glasvitrine, die er von seiner Mutter geerbt hat. Deren Mutter hatte sie einer jüdischen Familie abgekauft, als diese aus Hemsbach fliehen musste. Die Vitrine steht immer noch im Keller, da er es nicht über sich bringt, sie zu nutzen oder zu entsorgen, nach allem, was er über das Schicksal der Juden in seiner Region weiß. Ein noch einschneidenderes Erlebnis war für Schmitt, als er etwa 26 Jahre alt war, ein Ausflug zum nahegelegenen Örtchen Obergrombach. Zu beiden Seiten eines Hohlweges entdeckte er Steine mit hebräischer Inschrift. Schmitt fand heraus, dass die Nazis diese Grabsteine vom jüdischen Friedhof entwendet hatten, um sie als Rinnsteine zu benutzen, und veröffentlichte in einem Jugendmagazin einen Artikel über seine Entdeckung. (Die Grabsteine wurden schließlich aus dem Hohlweg entfernt und wieder auf den jüdischen Friedhof von Obergrombach zurückgebracht.)

Schmitt lernte nach dem Besuch der Volksschule den Beruf des Industriekaufmannes, dann studierte er Betriebswirtschaft und arbeitete als Steuerberater. Später gründete er einen Großhandel für Naturkost und war dann als Verwaltungsleiter einer privaten Universität in Bruchsal tätig. Seit 2008 widmet er sich mit großem Interesse dem jüdischen Vermächtnis in seiner Stadt, das er der jungen wie der älteren Generation gleichermaßen zu vermitteln versucht.

Schmitt war Initiator einer Gedenktafel im Stadtzentrum zum Andenken an den in Bruchsal aufgewachsenen jüdischen Anwalt und Politiker Ludwig Marum, der von 1914 bis 1928 für die SPD im badischen Landtag saß. Marum wurde später in den Reichstag gewählt, wo er bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1933 tätig war. Als einer der ersten Juden wurde er bereits 1934 von den Nationalsozialisten ermordet.

Schmitt hat mittlerweile zahlreiche Artikel geschrieben und ist Mitherausgeber des Buches Oppenheimer: Eine jüdische Familie aus Bruchsal. Er verfasste die Gedenkschrift zur ersten Stolpersteinverlegung in Bruchsal, die anlässlich der ersten Verlegung von Stolpersteinen in Bruchsal erschien, und schrieb in dem Periodikum Badische Heimat einen Fachartikel zur Gedenkarbeit für die Opfer des Nationalsozialismus in Bruchsal. Gegen großen Widerstand setzte ein Mitstreiter bereits vor einigen Jahren bei den lokalen Behörden durch, dass ein bis dahin zurückgehaltener Film aus dem Stadtarchiv Bruchsal, der die Deportation der Bruchsaler Juden im Oktober 1940 zeigt, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Schmitt machte diesen Film über youtube weltweit öffentlich.

Schmitt arbeitet weiterhin an der Rekonstruktion der Familienstammbäume einstiger Bruchsaler Juden. Die Auslandsreisen zu Begegnungen mit ihren Nachfahren finanziert er selbst. Mit Blick auf die Zukunft hofft er auf die Wiederherstellung des Taharahauses von Bruchsal, wo traditionell die Leichen jüdischer Verstorbener vor der Bestattung gewaschen wurden. Das Haus neben dem jüdischen Friedhof steht seit dem Krieg leer. Schmitt ist überzeugt, dass „es für alle wichtig ist“, sich an das jüdische Vermächtnis zu erinnern, es in Ehren zu halten und darüber zu reden.

„Wir müssen für zukünftige Generationen aktiv sein“, sagt er. „Es sollte ganz normal sein, über dieses Thema zu sprechen, es sollte normal sein, zu wissen, was damals geschah, und es sollte normal sein, dass jeder von uns dafür Sorge trägt, dass das größte Verbrechen, das jemals in der zivilisierten Welt geschah, niemals in Vergessenheit gerät.“

 
 

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