Obermayer German Jewish History Award
„Ich weiß, dass wir die Welt nicht verändern können, aber wir können Lehren vermitteln ...“
Michael Imhof
Petersberg, Hessen
Als Lehrer und Lokalhistoriker im hessischen Fulda hat Michael Imhof sich in den vergangenen drei Jahrzehnten leidenschaftlich dafür engagiert, jungen Menschen ebenso wie Erwachsenen das reiche jüdische Vermächtnis der Region zu vermitteln. Er hat Führungen durch das jüdische Fulda geleitet, zahllose Vorträge an Schulen und in den Gemeinden gehalten, eine Gedenktafel für im Holocaust ermordete jüdische Schüler initiiert und eingeweiht und erfolgreiche Partnerschaften zwischen der Hochschule Fulda und mehreren israelischen Universitäten aufgebaut.
Darüber hinaus hat er zwei monumentale Bücher geschrieben: Das 440 Seiten starke Werk Juden in Deutschland und 1000 Jahre Judentum in Fulda erschien im Jahr 2011. Und 400 Jahre Juden in der Rhön wurde 2017 veröffentlicht. Das Thema ist heute auch Teil einer Wanderausstellung.
Imhof ist es stets ein tiefes Anliegen gewesen, das Interesse junger Menschen zu wecken und ihnen ein Thema so nahezubringen, dass seine Relevanz für die heutige Zeit klar wird: „Ich weiß, dass wir die Welt nicht verändern können, aber wir können den Schülern ein Bewusstsein für Diskriminierung vermitteln, für ihre Menschlichkeit und ihr Gefühl für andere – gegenüber Menschen, die Hilfe suchen und brauchen“, sagt er. „Wir können ihnen neue Denkanstöße zur jüdischen Geschichte geben und sie zur Beschäftigung mit ihrer Lokalgeschichte anregen. Ich denke, auf diese Weise können wir versuchen, sie gegenüber bestimmten [rechtsextremen] Tendenzen immun zu machen. Ich zeige den Schülerinnen und Schülern immer, was passieren kann, wenn wir uns nicht gegen Antisemitismus und Rassismus gegenüber Minderheiten engagieren.“
Auch als Pensionär leitet Imhof weiterhin mehrmals im Monat Schüler-Workshops zur jüdischen Geschichte. Dabei setzt er Powerpoint-Präsentationen auf geschickte Weise ein, um junge Zuschauer zu interessieren. „Ich rede nicht nur, ich lasse sie auch schauen. Vieles erkläre ich anhand von Bildern, die ich mit den Biographien der Menschen verbinde. Ich versuche immer, die Person hinter den Dokumenten lebendig werden zu lassen“, sagt er. Mit diesem Ansatz gewinnt er die Aufmerksamkeit der Schüler, die gleichzeitig etwas lernen. „Wenn sie die Bilder von ihren Straßen und Dörfern anschauen, nehmen sie auch die Information mit, dass es dort einmal eine Synagoge gab und sagen: ,Das wusste ich nicht. Aber mein Großvater hat mir schon mal etwas von den Juden erzählt. Da frage ich noch einmal nach‘“, sagt Imhof.
Imhof wurde 1947 in Fulda geboren und wuchs in einer Familie auf, die sich den Nationalsozialisten offen und couragiert widersetzt hatte. Seine Mutter verbot seinem älteren Bruder, der Hitlerjugend beizutreten, und half einem desertierten Verwandten, sich bis zum Ende des Krieges versteckt zu halten. Imhofs Vater, der in einem Nachbardorf als katholischer Lehrer tätig war, geriet aufgrund seiner religiösen Überzeugung mit den Nationalsozialisten in Konflikt. Die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt fielen in Imhofs Gymnasialzeit und waren prägend für seine Einstellung zur Schuld der Deutschen. „Es war schockierend für mich ... und brachte mich zum Nachdenken“, erklärt er.
Später unterrichtete er an einem nordhessischen Gymnasium und an einer Gesamtschule in Marburg, bevor er 1980 nach Fulda zurückkehrte, wo er als Lehrer an der berufsbildenden Ferdinand-Braun-Schule und später als Dezernent für die Lehrerfortbildung am Staatlichen Schulamt tätig war.
Dort begann er auch gemeinsam mit einer Handvoll Lehrer mit seinen Recherchen zur nationalsozialistischen Vergangenheit und zur jüdischen Geschichte der Region. Er besuchte mit Schülern jüdische Stätten wie Friedhöfe, Synagogen und Häuser ehemaliger jüdischer Bürger und organisierte Konzerte mit jiddischen Liedern.
Einen Schub bekam Imhofs Arbeit 1987, als der Fuldaer Bürgermeister Wolfgang Hamberger jüdische Überlebende und ihre Familien in die Stadt einlud. Mit seiner Gruppe von Kollegen, die sich inzwischen Geschichtswerkstatt nannte, interviewte Imhof um die 30 der 150 Überlebenden und Nachfahren, die aus aller Welt – unter anderem Australien, Südamerika, Frankreich, den USA und Israel – angereist waren. „Ich sagte: ,Das ist eine einmalige Chance, die sich nicht noch einmal bieten wird‘“, erinnert sich Imhof. „Einige hatten die Konzentrationslager überlebt.”
Eine besonders interessante Verbindung ergab sich im Laufe dieser Besuchswoche mit zwei Schwestern, deren Familie einst das Haus gehört hatte, das Imhofs Schwiegereltern in den 1950er Jahren gekauft hatten. „Im Zuge unserer Recherchen hatten wir Dokumente gefunden, die belegten, was [mit ihrem] Bruder passiert war und dass ihr Haus in der NS-Zeit gestohlen worden war. Ich hatte nicht erwartet, ihnen jemals zu begegnen“, sagt er. Eine weitere wichtige Begegnung war die mit Michael Cahn, dem Sohn des letzten Rabbis von Fulda, der Imhof später beim Aufbau eines Austauschprogramms zwischen seiner Berufsschule und Hochschulen in Jerusalem, Haifa und Herzliya in Israel half.
Die Gespräche, die die Gruppe in der Besuchswoche mit Überlebenden führte und die Imhofs Team später für das Fuldaer Archiv transkribierte und übersetzte, mündeten Ende der 1980er Jahre auch in eine Wanderausstellung zur NS-Zeit in Fulda, wo zuvor um die 1.000 Juden gelebt hatten. Die Geschichtsarbeit mit Jugendlichen zieht sich durch die gesamte Tätigkeit von Imhof. Er hat darüber hinaus zahlreiche Veranstaltungen, Exkursionen und Diskussionen zu jüdischen Themen organisiert.
Seine Interviews mit ehemaligen Bürgern bildeten die Grundlage für das Buch, das aus seinen akribischen Recherchen zur tausendjährigen jüdischen Geschichte Fuldas entstand. Es spannt den Bogen von der Ritualmordanklage gegen die Fuldaer Juden im Jahr 1235 über die Blütezeit in der Frühen Neuzeit (als die Stadt ein Zentrum jüdischer Lehre war, mit einer berühmten Jeshiva und dem legendären Talmud-Gelehrten des 17. Jahrhunderts, Rabbi Meir Schiff) bis hin zu ihrer Zerstörung durch den Holocaust.
In seinem zweiten Buch, das sich mit dem jüdischen Leben in der Rhön befasst, konzentrierte Imhof sich auf 20 jüdische Landgemeinden der Region. „Ich wollte den Menschen vermitteln, wie wichtig die jüdischen Gemeinden in den Rhön-Dörfern für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung unserer Zeit waren“, sagt er. „Schon in der Frühen Neuzeit waren sie es gewesen, die neue Geschäftsideen hervorbrachten, und im 19. Jahrhundert waren sie ein Motor der Moderne in unserer Region – und besonders auf dem Land. Sie brachten neuen wirtschaftlichen Schwung, sie entwickelten die Verkehrsinfrastruktur und das Schulsystem, sie waren in den Gemeindevertretungen und politischen Gruppen der Dörfer vertreten und waren Mitbegründer von Sportvereinen und Banken.“
Das Buch über die Rhön war auch Grundlage einer Wanderausstellung, die in der kleinen Stadt Tann begann, wo es vor der NS-Zeit eine lebendige jüdische Gemeinde gegeben hatte. 2014 kuratierte Imhof eine weitere Ausstellung, 200 Jahre Emanzipation der Juden in der Region Fulda, die im Vonderau-Museum Fulda und an mindestens 15 Schulen der Region gezeigt wurde. Die zwei Ausstellungen sind jetzt Teil einer zusammengeführten Wanderausstellung.
Im Jahr 2016 konnte auf Basis von Imhofs Recherchen eine Gedenktafel errichtet und eingeweiht werden, die an die von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Schüler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums erinnert. Imhof hatte auf Anregung des Schulleiters zur jüdischen Geschichte recherchiert und herausgefunden, dass von den 615 Schülern, die zwischen 1870 und 1936 die Schule besucht hatten, 104 von den Nationalsozialisten ermordet wurden. 250 überlebten den Holocaust. Das Schicksal der Übrigen ist unbekannt.
Die Tafel zeigt auch, wann und wo die Kinder geboren wurden, wann sie die Schule besuchten und in welchem Konzentrationslager sie starben, mit kurzen Biographien. „Mit der Tafel an einem prominenten Platz in der Schule haben wir ihnen ihre Namen [zurück]gegeben“, sagt er.
Für Imhof, der Beziehungen zum Anne Frank Institut in Frankfurt und anderen Organisationen aufgebaut hat, die sich dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus widmen, und der kontinuierlich am Ausbau der Verbindung zwischen Fulda und Lehrstätten in Israel arbeitet, ist seine Arbeit eine nie endende Aufgabe.
„Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, immer wieder über die Verbrechen an den Juden aufzuklären und vor dem wieder aufkommenden Antisemitismus zu warnen. Der Gefahr des Verdrängens, Vergessens und Leugnens müssen wir uns entgegenstellen“, erklärt er. „Wir bewegen uns Schritt für Schritt voran, und die kleinen Schritte dauern oft am längsten, aber sie zeigen auch Ergebnisse. Wir müssen in unseren Schulen und unserer Gesellschaft den Geist der Menschlichkeit, der Menschenrechte und Solidarität vermitteln. Es gilt den gegenseitigen Respekt und die Verantwortung für diese Werte in unserer Gesellschaft und unseren Schulen zu verankern.“
EINE MAUER, DIE VERBINDET
Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre haben Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule am Standort einer ehemaligen Synagoge Stein für Stein eine Mauer errichtet, die eine starke Botschaft zur Bedeutung von Gemeinschaft vermittelt.
VON SCHÜLERN FÜR SCHÜLER
Als eine Gruppe von Neuntklässlern im Jahr 2003 Rolf Joseph begegnete, waren sie von seinen Erzählungen vom Überleben im Holocaust so beeindruckt, dass sie sich intensiv mit seinem Lebensweg auseinandersetzten und ein erfolgreiches Buch über ihn schrieben. Heute regt die Joseph-Gruppe Schulklassen dazu an, sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte zu befassen.
„ICH SPRECHE FÜR DIE MENSCHEN, DIE NICHT MEHR FÜR SICH SELBST SPRECHEN KÖNNEN“
Margot Friedländer beschreibt in ihrer Autobiographie, wie sie als Jüdin in Berlin den Zweiten Weltkrieg in Verstecken überlebte. Heute ist sie 96 Jahre alt und spricht eindrucksvoll über die Ereignisse, die ihr Leben prägten, und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.