Obermayer German Jewish History Award, Auszeichnung für herausragende Leistungen

Wolfgang Haney 

Berlin

Als Kind war der gebürtige Berliner Wolfgang Haney leidenschaftlicher Briefmarken- und Münzsammler. Nach dem Ende seines erfolgreichen Berufslebens als Stadtrat beim Berliner Magistrat und später als Dienststellenleiter bei der BEWAG richtete sich seine Leidenschaft auf eine noch viel wertvollere Sammlung: Er reiste durch ganz Deutschland und trug alles zusammen, was er an Objekten und Devotionalien mit Bezug zur jüdischen Geschichte, zum Antisemitismus und zum Holocaust finden konnte – insgesamt über 12.000 Einzelstücke.

Heute verfügt der 91-jährige Haney, der auch ein halbes Dutzend Bücher verfasst hat, eine der umfassendsten Privatsammlungen von Material aus der NS-Zeit, die er ausschließlich aus eigenen Mitteln finanziert hat. Von Postkarten und Briefen, die aus Konzentrationslagern verschickt wurden, über Schriftstücke, Fotos, Poster, Flugblätter, Briefmarken, Abzeichen, antisemitische Karikaturen bis hin zu jüdischen Lebensmittelkarten: Haneys Sammlung und seine persönliche Geschichte waren Gegenstand Dutzender Ausstellungen in ganz Deutschland, von Ludwigsburg bis Koblenz, von Heidelberg bis Osnabrück. Auch in Polen stieß sie von Warschau über Krakau bis nach Danzig auf positive Resonanz.

„Mein Wunsch und Ziel ist es, die deutsche Bevölkerung, insbesondere die Jugend, zu informieren und den Menschen zu erklären, dass das, was die Nazis getan haben, eine unvorstellbare Katastrophe für Deutschland war“, sagt Haney, der seine Motivation zum Teil auch aus der Sorge heraus zieht, dass der Antisemitismus wieder Fuß in Deutschland fassen könnte. „In der Schule erzählen die Lehrer den Schülern zwar etwas über die NS-Zeit, aber sie sind trotzdem nicht gut informiert. Es ist wichtig, dass sie erfahren, was damals passierte. Die Deutschen haben sich nach dem Krieg zwar zu ihrer Schuld an den Schrecken des Holocaust bekannt, aber inzwischen gibt es Anzeichen für einen erneut aufkommenden Antisemitismus.“

Haney wurde 1924 als Sohn eines katholischen Vaters und einer jüdischen Mutter geboren und hat diesen Antisemitismus am eigenen Leib erfahren: Da seine Mutter Jüdin war, wurde Haney von der Schule verwiesen, die Musikschule seines Vaters, der Pianist war, wurde 1933 geschlossen. Nachdem das Haus der Familie 1943 durch Bomben zerstört worden war, wurde die Familie zwangsweise in einem Keller untergebracht, bis ein Verwandter des Vaters sie in sein Haus aufnahm. Haneys Mutter entkam später der Deportation durch eine Flucht in die Wälder außerhalb Berlins, wo sie sich versteckt hielt und den Krieg überlebte. Alle anderen Mitglieder der großen Familie fielen dem Holocaust zum Opfer. „Mein Onkel, meine Tante und viele weitere Familienmitglieder wurden nach Litzmannstadt (Lodz) und später nach Auschwitz deportiert. Niemand kam zurück”, so Haney, der der Deportation durch Beziehungen seines Vaters entging.

Haney konnte später dank einer Ausnahmegenehmigung aufgrund einer erfolgreichen Höchstbegabtenprüfung ein Ingenieurstudium absolvieren. Nach dem Krieg arbeitete er für die Stadtverwaltung Berlin und half beim Wiederaufbau der Stadt. Viele Jahre später, nach seiner Pensionierung, wuchs in Haney das Bedürfnis, sich nicht nur mit der Vergangenheit seiner eigenen Familie, sondern mit der Rolle Deutschlands im Holocaust zu befassen. „Nach meiner Pensionierung dachte ich: ,Ich muss etwas tun, um das Gedenken an all die Menschen zu bewahren, die aus unserer Familie gestorben sind. Und die Deutschen müssen sich klar zu dem bekennen, was sie den Juden angetan haben.“

Haney hat in Kooperation mit dem Bundesarchiv und der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Museum für Kommunikation in Frankfurt sowie dem Jüdischen Museum Frankfurt zahlreiche Bücher über die Holocaust-Geschichte Deutschlands verfasst, z. B. Der Weg nach Auschwitz, Abgestempelt: Judenfeindliche Postkarten, Das Geld des Terrors oder Spuren aus dem Ghetto Lodz 1940—1944. Haneys Bücher finden sich heute in Bibliotheken, Gerichten, Schulen, Museen, Gedenkstätten und Archiven überall im Land.

Für Guy Stern, Leiter des Institute of the Righteous beim Holocaust Memorial Center of Greater Detroit ist Haneys Arbeit „absolut notwendig in dem Bemühen um die konkrete Erinnerung an und die Zeugnisse von Verbrechen nie dagewesenen Ausmaßes. Seine Sammlung historischer Artefakte, mit persönlicher Hingabe in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen und aus eigenen Mitteln finanziert [...], erinnert nicht nur an die Verbrechen der Vergangenheit, sondern dient auch der Abwehr antisemitischer Tendenzen [von heute].“

Haney, der 2006 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin, der höchsten Auszeichnung der Stadt, ausgezeichnet wurde, verfolgt mit seiner Arbeit ein doppeltes Ziel: Dokumentation der NS-Geschichte und Vermittlung dieser Geschichte in der Öffentlichkeit. „Ich wollte einfach so viel wie möglich über die Geschichte erfahren und erwarb deshalb alles, was einen jüdischen Bezug hatte, ob in Geschäften, auf Märkten oder in Antiquitätenläden“, erinnert er sich. „Man muss hinschauen, den Dingen nachgehen und Fragen stellen.“

 
 

EINE MAUER, DIE VERBINDET

Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre haben Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule am Standort einer ehemaligen Synagoge Stein für Stein eine Mauer errichtet, die eine starke Botschaft zur Bedeutung von Gemeinschaft vermittelt.

 

VON SCHÜLERN FÜR SCHÜLER

Als eine Gruppe von Neuntklässlern im Jahr 2003 Rolf Joseph begegnete, waren sie von seinen Erzählungen vom Überleben im Holocaust so beeindruckt, dass sie sich intensiv mit seinem Lebensweg auseinandersetzten und ein erfolgreiches Buch über ihn schrieben. Heute regt die Joseph-Gruppe Schulklassen dazu an, sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte zu befassen.

 

„ICH SPRECHE FÜR DIE MENSCHEN, DIE NICHT MEHR FÜR SICH SELBST SPRECHEN KÖNNEN“

Margot Friedländer beschreibt in ihrer Autobiographie, wie sie als Jüdin in Berlin den Zweiten Weltkrieg in Verstecken überlebte. Heute ist sie 96 Jahre alt und spricht eindrucksvoll über die Ereignisse, die ihr Leben prägten, und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.