Obermayer German Jewish History Award

Werner Schäfer 

Frankenthal, Rheinland-Pfalz

Werner Schäfer wuchs in direkter Nachbarschaft zum alten jüdischen Friedhof von Frankenthal auf, einer Stadt mit 50.000 Einwohnern in der Nähe von Mannheim. Er erinnert sich, dass er als Kind oft über diesen Friedhof in die Stadt lief, obwohl „ich als Kind einfach nur alte Steine sah und nicht verstand, dass es sich um einen jüdischen Friedhof handelte – für mich war es einfach irgendein Friedhof.“ Schäfers Eltern waren in ihrer Jugend aktive Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterjugend gewesen und hatten ihm einen starken Sinn für Werte wie soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte vermittelt. Schäfers Mutter starb, als er erst 12 Jahre alt war. Kurz zuvor hatte sie ihm das Buch Der Gelbe Stern gegeben – eine Erfahrung, die ihn zutiefst prägte.

„Meine Mutter erzählte mir viel aus der Nazizeit“, so Schäfer, und „das war das erste Buch, in dem ich lesen konnte, was wirklich geschehen war, denn in der Schule wurde das Thema nicht behandelt. Alles, was ich über den Holocaust lernte, eignete ich mir selbst an.“

Mehr als 30 Jahre später, im Jahr 1992, war Schäfer, damals Leiter Medien Produktion bei KSB, Mitgründer des „Fördervereins für jüdisches Gedenken Frankenthal“, der sich zum Ziel gesetzt hat, die jüdische Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Seither engagiert er sich unermüdlich dafür, Kindern und Erwachsenen aus Frankenthal das frühere jüdische Leben näherzubringen. Er dokumentiert und bewahrt Objekte und Dokumente der einst so lebendigen jüdischen Gemeinde und gibt sein Wissen an die Nachfahren derer weiter, die aus der Stadt flohen oder im Holocaust ermordet wurden.

„Ich denke, dass es sehr, sehr wichtig ist, sich an das zu erinnern, was während der Nazizeit geschah, als Menschen aus Frankenthal – jüdische Nachbarn, die Bürger der Stadt waren, wie Protestanten oder Katholiken – als ,Untermenschen‘ beschimpft und ermordet wurden“, sagt Schäfer. „Mein Anliegen ist der Kampf dafür, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt.“

Im Rahmen dieses Engagements recherchierte Schäfer, der 15 Jahre Ratsmitglied der Stadt Frankenthal war, in den Stadtarchiven, spürte alte Zeitungsfotos auf und trug Informationen zu jüdischen Geschäften und Familiengeschichten zusammen. So entstand eine enorme Sammlung, die die jüdische Gemeinde der Stadt dokumentiert. Seine akribisch aufbereiteten Rechercheergebnisse stellte er in Form von DVDs zusammen, die er dem Baeck Institute stiftete. Dort sind sie als Werner Schäfer Collection geführt. Schäfer entdeckte unter anderem in den verschiedenen Wiedergutmachungsakten jüdischer Bürger und Geschäftsleute überraschende Geschichten. Zum Beispiel „wandten sich nach dem Krieg Juden an die Stadtverwaltung und forderten die Rückgabe ihres Eigentums und ihres Geldes, und derselbe Mann, der in der Nazizeit für die Enteignung zuständig war, war nun nahtlos für die Wiedergutmachungsanträge verantwortlich. Die Enteignungs-/Wiedergutmachungs-Dokumentation zu diesen Personen, Familien und Geschäfte ist noch komplett vorhanden“, erzählt Schäfer. Die 130 Seiten Korrespondenz nutzt er heute auch, um die Vergangenheit der Stadt zu vermitteln.

Es ist Schäfers Engagement zu verdanken, dass mehr als 60 Stolpersteine vor den Häusern und Geschäften einstiger jüdischer Mitbürger in Frankenthal verlegt wurden. Fünf weitere sind für März 2016 geplant. Darüber hinaus initiierte er die Errichtung eines Gedenksteins vor dem Gebäude der einstigen Synagoge, das in der Pogromnacht niedergebrannt und während des Krieges bombardiert wurde. Später wurde es als Kino wieder aufgebaut.

„Der Verein gibt Kindern und Jugendlichen die Gelegenheit, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und über das, was damals geschah, nachzudenken“, erklärt Schäfer, der die Website Juden in Frankenthal (www.juden-in-frankenthal.de) verwaltet und auch Artikel für Alemannia Judaica (http://www.alemannia-judaica.de/frankenthal_synagoge.htm) geschrieben hat. Dort finden Forscher, Lehrer und Familien aus aller Welt Informationen zum jüdischen Vermächtnis der Stadt. Schäfer, der kompromisslos für Ehrlichkeit und Wahrheit eintritt, sagt: „Ich spüre bei manchen Menschen immer noch Antisemitismus. Und wenn ich entsprechende Aussagen höre, nehme ich dazu Stellung und sage, was ich davon halte.“

Schäfer hat sich auch aufopferungsvoll an der Wiederherstellung und Dokumentation des alten jüdischen Friedhofs von Frankenthal beteiligt, den die Nazis zerstört hatten und der aussah „wie ein Dschungel, in dem einige Grabsteine schief und krumm standen, hochgedrückt und verschoben durch Baumwurzeln“, erinnert er sich. Schäfer dokumentierte die Geschichten der Familien und Einzelpersonen, die auf dem Friedhof begraben waren, und mit Unterstützung einer Kollegin aus Mainz übersetzte er die Grabinschriften aus dem Hebräischen ins Deutsche. Im Jahr 2012 organisierte Schäfer ein Team von Einheimischen und internationalen Freiwilligen aus Georgien, Aserbaidschan und Russland. Gemeinsam reinigten sie zwei Wochen lang den Friedhof, sodass „er heute grün und sauber ist und man alle Grabsteine sehen kann [...], unter anderem auch den ältesten Grabstein auf dem Friedhof von 1826, der saniert wurde“, erzählt Schäfer, der auch heute noch Führungen über den Friedhof leitet und Schüler und Freiwillige organisiert, um ihn sauber zu halten.

Die Arbeit mit den Schülern geht jedoch noch weiter: Neben Führungen zu den historischen jüdischen Orten der Stadt hat er Schüler auch in seine Arbeit einbezogen. So beteiligen sie sich an der Recherchearbeit sowie an Design und Produktion von Bannern und Postern für Ausstellungen im Rathaus der Stadt sowie in lokalen Museen und Schulen. Schäfer hat zudem zahlreiche Schulexkursionen zum französischen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof organisiert, das westlich von Straßburg liegt.

Rabbi Peter H. Schweitzer von der City Congregation for Humanistic Judaism in New York City, erzählt, dass er sich an Schäfer wandte, um Informationen zu seinem Urgroßvater Isaac Schweitzer zu finden, der Inhaber eines bekannten Geschäfts am Marktplatz von Frankenthal gewesen war. Dank Schäfers „unermüdlichen und uneigennützigen Engagements für die Bewahrung der jüdischen Lokalgeschichte und die Weitergabe seiner Erkenntnisse“, gelang es Schweitzer, seine Familienwurzeln in Bayern und Württemberg aufzuspüren. Und anhand von Briefen, die er mit Schäfers Hilfe entdeckte, konnte die Familiengeschichte schließlich rekonstruiert werden.

Leidenschaftlich kämpft Schäfer weiter dafür, dass die Erinnerung an den Holocaust wach gehalten wird: „Ich hoffe, dass so etwas nie wieder passiert. Nur wer weiß, was in der Vergangenheit geschah, kann den richtigen Weg einschlagen, um zu verhindern, dass die Geschichte sich wiederholt.“

 
 

EINE MAUER, DIE VERBINDET

Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre haben Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule am Standort einer ehemaligen Synagoge Stein für Stein eine Mauer errichtet, die eine starke Botschaft zur Bedeutung von Gemeinschaft vermittelt.

 

VON SCHÜLERN FÜR SCHÜLER

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„ICH SPRECHE FÜR DIE MENSCHEN, DIE NICHT MEHR FÜR SICH SELBST SPRECHEN KÖNNEN“

Margot Friedländer beschreibt in ihrer Autobiographie, wie sie als Jüdin in Berlin den Zweiten Weltkrieg in Verstecken überlebte. Heute ist sie 96 Jahre alt und spricht eindrucksvoll über die Ereignisse, die ihr Leben prägten, und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.