Obermayer German Jewish History Award, Auszeichnung für herausragende Leistungen
Reinhard Führer
Berlin
Als Kind war Reinhard Führer wegen seines Nachnamens regelmäßig Hänseleien seiner Klassenkameraden ausgesetzt. „Sie nannten mich ,der Führer‘, in Anspielung auf Hitler. So bekam ich zu spüren, wie sich Diskriminierung aufgrund eines Familiennamens anfühlt“, erinnert er sich, „und mir wurde bewusst, was die Juden erlitten haben mussten. Ich beschloss, mich dafür einzusetzen, dass kein Mensch diskriminiert wird.“
Diese Motivation legte den Grundstein für ein lebenslanges Wirken im Dienst der Öffentlichkeit: Führer, der 1945 in Österreich geboren wurde und in Stuttgart und Berlin aufwuchs, war 27 Jahre für die CDU Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Nach acht Jahren als Vizepräsident war er von 1999 bis 2001 Präsident des Abgeordnetenhauses.
Während seiner Zeit als Präsident leistete Führer einen entscheidenden Beitrag dazu, den Obermayer German Jewish History Awards bundesweit bekannt zu machen. So lud er die jüdische Gemeinde von Berlin ein, die Preisverleihung vom Centrum Judaicum in das Berliner Abgeordnetenhaus zu verlegen, wo sie seit 2001 stattfindet, und verpflichtete sich im Namen der Stadt Berlin zu einer dauerhaften Unterstützung der alljährlichen Ehrung der Preisträger.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Abgeordnetenhaus begann für Führer so etwas wie eine zweite Karriere als Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Die in Kassel ansässige gemeinnützige Organisation widmet sich der Erhaltung von Gräbern deutscher Kriegstoter in ganz Europa. Während seiner 11 Jahre an der Spitze der Organisation brachte Führer unter anderem das Riga-Komitee mit auf den Weg. Das Netzwerk von rund 50 deutschen Städten hat in Lettland eine Gedenkstätte errichtet, die an die aus Deutschland in das Ghetto von Riga deportierten Juden erinnert, von denen viele im Zweiten Weltkrieg starben.
„Vorher gab es nur den Platz, und man tat nichts für das Gedenken“, erklärt Führer. „Also entwickelten wir die Idee [der Gedenkstätte] und machten uns an die Arbeit.“ Während der Amtszeit von Führer wurde auch ein internationales Jugendcamp ins Leben gerufen, das seit 2002 jährlich stattfindet. Im Rahmen dieses Projekts arbeiten junge Menschen, unter anderem aus Deutschland, Lettland, den Niederlanden und Israel, gemeinsam in der Friedhofspflege.
Darüber hinaus hat Führer einen wichtigen Beitrag zum Gedenken an die 12.000 deutsch-jüdischen Soldaten geleistet, die im 1. Weltkrieg für die deutsche Wehrmacht kämpften. „Ich habe ein Projekt auf den Weg gebracht, bei dem nach uns bekannten Namen aus dem 1. Weltkrieg recherchiert wurde. Wir fanden die Namen von rund 1.900 Juden, die auf unseren (Soldaten-)Friedhöfen bestattet wurden, vornehmlich in Frankreich und Belgien“, erläutert Führer, dessen Rechercheergebnisse dem Centrum Judaicum in Berlin bei der Suche nach den Familien und Enkelkindern dieser Soldaten halfen.
„Die deutschen Juden zogen begeistert in den Krieg und riskierten ihr Leben für Deutschland, und während der Nazi-Zeit machten sie sich zunächst keine Sorgen – sie dachten, dass alles gut werden würde [für sie]“, so Führer. Aber „auch diese Menschen wurden deportiert und von den Nazis ermordet. Das finde ich schrecklich und will mir einfach nicht in den Kopf. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass sie nicht vergessen werden.“
Gemeinsam mit dem Centrum Judaicum und der Kriegsgräberfürsorge hat Führer eine Ausstellung zu den „Feldrabbinern“ initiiert, die während des 1. Weltkrieges Wehrmachtssoldaten betreuten. In Berlin setzt sich Führer unermüdlich für die Erhaltung des Jüdischen Friedhofs Weißensee ein. Auf dem größten jüdischen Friedhof in Europa findet anlässlich des Volkstrauertags Anfang November zu Ehren der jüdischen Soldaten alljährlich eine Gedenkfeier statt, die Führer mit der Kriegsgräberfürsorge, der Bundeswehr und der jüdischen Gemeinde koordiniert. Darüber hinaus ist er auch an der Organisation der jährlichen Gedenkfeiern zum Jahrestag der Pogromnacht in Berlin beteiligt.
Für sein umfangreiches politisches Engagement wurde Führer unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, der Käthe-Kollwitz-Medaille und dem Goldenen Ehrenkreuz der Bundeswehr ausgezeichnet. Führer erklärt seinen lebenslangen Einsatz für das Gedenken an die jüdische Geschichte abschließend so: „Mir fehlt jegliches Verständnis für die Nazis und ihr schreckliches Regime, und wir leisten einen kleinen Beitrag dazu, dass die Wunden heilen können.“
EINE MAUER, DIE VERBINDET
Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre haben Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule am Standort einer ehemaligen Synagoge Stein für Stein eine Mauer errichtet, die eine starke Botschaft zur Bedeutung von Gemeinschaft vermittelt.
VON SCHÜLERN FÜR SCHÜLER
Als eine Gruppe von Neuntklässlern im Jahr 2003 Rolf Joseph begegnete, waren sie von seinen Erzählungen vom Überleben im Holocaust so beeindruckt, dass sie sich intensiv mit seinem Lebensweg auseinandersetzten und ein erfolgreiches Buch über ihn schrieben. Heute regt die Joseph-Gruppe Schulklassen dazu an, sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte zu befassen.
„ICH SPRECHE FÜR DIE MENSCHEN, DIE NICHT MEHR FÜR SICH SELBST SPRECHEN KÖNNEN“
Margot Friedländer beschreibt in ihrer Autobiographie, wie sie als Jüdin in Berlin den Zweiten Weltkrieg in Verstecken überlebte. Heute ist sie 96 Jahre alt und spricht eindrucksvoll über die Ereignisse, die ihr Leben prägten, und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.