Obermayer German Jewish History Award
Elisabeth Quirbach & Hans Schulz
Braunsbach, Baden-Württenberg
Als Elisabeth Quirbach und ihr Mann Hans Schulz 1997 in das baden-württembergische Braunsbach zogen, waren sie vom Anblick der ehemaligen jüdischen Schule und des Rabbinatshauses schockiert – das Gebäude verfiel. „Wir mussten feststellen, dass niemand etwas tat, um an die jüdische Geschichte unseres Ortes zu erinnern“, erzählt Quirbach, „und wir sagten uns, ,Das darf nicht sein. Die Erinnerung muss wach gehalten werden.‘“
Nachdem sie von Abrissplänen erfahren hatten, gründeten die pensionierte Oberstudienrätin und Theologin Quirbach und der Dipl.-Betriebswirt Schulz den Verein „Freunde des Rabbinatsmuseums Braunsbach“. Das Ehepaar machte sich an die Arbeit, um die jüdische Vergangenheit der Stadt zu erforschen, vom Friedhof bis zur Synagoge, und fand heraus, dass die jüdische Gemeinde eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Stadt gespielt hatte und zeitweise ein Drittel der Bevölkerung von Braunsbach ausmachte. Daraufhin setzten sie sich für die Errichtung eines Museums am Standort der ehemaligen Schule und des Rabbinats ein, mit dem Ziel, eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte zu schaffen, in der Bürger und Besucher sich über die einst lebendige jüdische Gemeinde informieren können.
Doch das entpuppte sich als schwierige Aufgabe. Bei Bürgern wie Behörden stießen Quirbach und Schulz auf heftigen Widerstand. Sie nahmen ungeheure Mühen auf sich, um die Einwohner von Braunsbach davon zu überzeugen, dass die Vergangenheit es wert wäre, wieder ans Tageslicht geholt zu werden – und dass es richtig wäre, das Gebäude zu restaurieren. Im Jahr 2008 wurde das Engagement von Quirbach und Schulz schließlich mit der Einweihung des Rabbinatsmuseums Braunsberg belohnt, das inzwischen jährlich um die 2.000 Besucher empfängt und zu einem wichtigen Anziehungspunkt in der Stadt geworden ist.
„Es ist wichtig für die Erinnerung in unserer Region – es ist wichtig für die Menschen von heute zu erfahren, dass es hier einst eine jüdische Gemeinde gab, die friedlich mit ihren Nachbarn zusammenlebte“, erklärt Schulz, und „das ist es, was im Gedächtnis [der Öffentlichkeit] bleiben sollte: dass dies auch unsere Geschichte ist.“ Als Religionswissenschaftlerin ging es Quirbach darüber hinaus auch gezielt um die Vermittlung von Wissen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Christentum und insbesondere die Verwurzelung der Christen in der jüdischen Religion, „damit die Menschen mehr Toleranz und Respekt füreinander entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass Menschen, deren Hintergrund man kennt, nicht zu Feinden werden, und dass man diesen Menschen nicht solches Leid antut, wie es die Nazis getan haben. Wir wollen, dass die Menschen, und insbesondere die jungen Leute, die Geschichte der jüdischen Menschen und ihre Religion kennen lernen.“
Quirbach wurde 1949 in Köln geboren und arbeitete nach ihrem Studium der Germanistik und Theologie als Gymnasiallehrerin. Sie kam durch ihre Arbeit in Berührung mit der jüdischen Geschichte, und das Interesse wuchs weiter durch Begegnungen mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde von Köln. Der 1945 geborene Hans Schulz begann sich dagegen schon als Kind für das jüdische Vermächtnis in Deutschland zu interessieren, nachdem er erfahren hatte, dass sein Vater während der NS-Zeit ins Gefängnis gesteckt worden war, weil er seinen Söhnen die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend verboten hatte. „Lange Zeit verstand ich nicht wirklich, was in dieser Zeit geschah, [aber] mein Interesse an der Geschichte der Juden in Deutschland wuchs immer weiter“, so Schulz.
Im Rabbinatsmuseum Braunsbach fand das Ehepaar schließlich seine Berufung. Auf der von ihnen eingerichteten Website www.rabbinatsmuseum-braunsbach.de finden sich Fotos und Archivdokumente zur jüdischen Geschichte ebenso wie Informationen zum Kultur- und Ausstellungsprogramm des Museums. Die Dauerausstellung zeigt in zahlreichen Bildern, Schriften und Ausstellungsstücken die jahrhundertealte Geschichte der Juden von Braunsbach von 1600 bis1942. In Vorträgen, Konzerten, Führungen und Bildungsprogrammen für Kinder präsentiert das Museum verschiedene Aspekte jüdischer Kultur und Religion. Darüber hinaus finden sich auch Zeitzeugenberichte von Deutschen, die von ihren Erlebnissen während der NS-Zeit berichten, sowie Interviews, die Quirbach und Schulz selbst mit in Israel lebenden Nachfahren ehemaliger jüdischer Mitbürger in Braunsbach führten.
Einer dieser Nachfahren, der als der letzte in Braunsbach geborene überlebende Jude gilt, regte Quirbach und Schulz dazu an, ein Denkmal zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten getöteten Juden zu initiieren. Heute steht dieses Denkmal neben dem Rabbinatsmuseum – obwohl das Paar, wie Schulz berichtet, erneut beharrlich darum kämpfen musste.
Der Historiker Uri Kaufmann aus Essen würdigt den Einsatz von Quirbach und Schulz als „einen Beitrag zu einer pluralen Gesellschaft und zur Toleranz in der gesamten baden-württembergischen Region Schwäbisch Hall.“ Und Phyllis Hofman Waldmann, New York, die dank Quirbach und Schulz herausfand, dass die Familie ihres Urgroßvaters ursprünglich aus Braunsbach stammt, erklärt, dass das Paar sich „mit unerschütterlicher Entschlossenheit und aus selbstlosem Antrieb dafür einsetzte, dass im Jahr 2008 wieder jüdisches Leben nach Braunsbach kam – 66 Jahre nach der Deportation und der Vernichtung der Braunsbacher Juden in den Todeslagern.“
Für Mark Falk, Hackensack, New Jersey, USA, ein weiterer Nachfahre Braunsbacher Juden, dessen Familienwurzeln dort auf das Jahr 1721 zurückgehen, hat das Ehepaar „ein historisches Narrativ rekonstruiert, das ohne diesen Einsatz womöglich für immer verloren gegangen wäre. Dafür und für die Überwindung von Widerständen sowie die Überzeugungsarbeit vor Ort gebührt ihnen höchste Anerkennung. Durch die Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden, die Gewinnung von Unterstützern in der Braunsbacher Gemeinde und darüber hinaus und in ihrer vielfachen Rolle als Sammler, Restauratoren, Kuratoren, Spendenbeschaffer, Bewahrer und sogar Immobilienverwalter ist es ihnen gelungen, eine Institution zu etablieren, die auch die ursprünglichen Kritiker inzwischen als lokales Juwel und ein stolzes Wahrzeichen der Gemeinde wahrnehmen.“
Quirbachs zweibändiges Werk Die Jüdische Gemeinde Braunsbach – Katalog zur Dauerausstellung begleitet die Ausstellung des Museums und dient auch als Stadtführer, der den Menschen die jüdische Vergangenheit nahebringt, mit Informationen zur ehemaligen Synagoge, dem Friedhof und den Häusern, in denen die Braunsbacher Juden früher lebten. Für Quirbach sind die wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen, die sie und ihr Mann mit den Nachfahren der Juden aus Braunsbach knüpfen konnten, das Herzstück ihrer Arbeit. „Das Interessanteste ist, dass wir mit den Menschen sprechen und ihnen helfen können, etwas über ihre Angehörigen zu erfahren, die früher hier lebten“, erklärt sie.
Und Schulz knüpft daran an: „Für mich ist das Allerwichtigste, dass Juden und deutsche Christen sich heute in Freundschaft und Verständnis füreinander begegnen. Mir geht es darum, den Menschen gegenseitigen Respekt zu vermitteln.“
EINE MAUER, DIE VERBINDET
Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre haben Schülerinnen und Schüler einer Berliner Grundschule am Standort einer ehemaligen Synagoge Stein für Stein eine Mauer errichtet, die eine starke Botschaft zur Bedeutung von Gemeinschaft vermittelt.
VON SCHÜLERN FÜR SCHÜLER
Als eine Gruppe von Neuntklässlern im Jahr 2003 Rolf Joseph begegnete, waren sie von seinen Erzählungen vom Überleben im Holocaust so beeindruckt, dass sie sich intensiv mit seinem Lebensweg auseinandersetzten und ein erfolgreiches Buch über ihn schrieben. Heute regt die Joseph-Gruppe Schulklassen dazu an, sich ebenfalls mit der jüdischen Geschichte zu befassen.
„ICH SPRECHE FÜR DIE MENSCHEN, DIE NICHT MEHR FÜR SICH SELBST SPRECHEN KÖNNEN“
Margot Friedländer beschreibt in ihrer Autobiographie, wie sie als Jüdin in Berlin den Zweiten Weltkrieg in Verstecken überlebte. Heute ist sie 96 Jahre alt und spricht eindrucksvoll über die Ereignisse, die ihr Leben prägten, und ihre Relevanz in der heutigen Zeit.