Die Familie Freedberg aus den USA besucht die Orte ihrer Vorfahren in Nord- und Osthessen

Eine gemeinsame Spurensuche mit Hans-Peter Klein (Melsungen) und Dr. Michael Imhof (Petersberg) in Melsungen und Schmalnau bei Fulda

Auf seiner Reise von San Francisco (USA) nach Kapstadt (Südafrika) machte Louis Freedberg (72), Journalist, mit seiner Frau Alina Salganicoff und ihren beiden Kindern vom 31. Juli bis zum 03. August 2022 einen Zwischenaufenthalt in Nord- und Osthessen, um ihnen die Orte ihrer Vorfahren zu zeigen und Menschen wiederzusehen, mit denen ihn eine langjährige Freundschaft verbindet. Hinzu kam Jean Freedberg (59), eine Schwester von Louis Freedberg, die in Bonn und Washington lebt und als Direktorin für internationale Programme bei der Human Rights Campaign arbeitet. Auch sie war vor über 10 Jahren schon einmal in Melsungen. Vorbereitet und begleitet wurde der Besuch von Hans-Peter Klein und Dr. Michael Imhof, beide Obermayer-Awardees von 2014 und 2019.

Familie Freedberg in Melsungen

Die jüdischen Familien Levy und Abt sind die Vorfahren der Freedbergs in Melsungen, die dort seit Mitte des 17. Jahrhunderts in mehreren Generationen bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts lebten, Handel trieben und auch eigene Geschäfte besaßen, wie das Warenhaus Levy Am Markt 4, dessen Besitzer Juda Levy, Urgroßvater von Louis und Jean Freedberg, 1927 in Melsungen starb und auf dem jüdischen Friedhof in Melsungen begraben ist. Seine Frau Betty, geb. Abt flüchtete nach der Reichspogromnacht im November 1938 nach Holland und konnte dort mit dem letzten Schiff vor Kriegsausbruch nach Südafrika entkommen. Bereits Anfang der 20er Jahre waren Grete Levy, eine Tochter von Juda und Betty Levy und Großmutter von Louis und Jean Freedberg, und später fünf weitere Geschwister von Grete Levy nach Südafrika ausgewandert. Grete Levy heiratete dort Juda / Joe Kupfer aus Schmalnau, der 1907 nach Südafrika zog. Vor dem Haus Am Markt 4 liegen fünf Stolpersteine für Angehörige der Familie Levy, vier von ihnen flüchteten nach Südafrika, Selma Levy, eine Schwester von Juda Levy, wurde 1942 von Kassel nach Sobibor deportiert und dort ermordet. Sie war nicht die einzige aus der Melsunger Familie Levy, die deportiert und ermordet wurden. Zwei Brüder von ihr wurden ebenfalls deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Bertha Rothschild, geb. Levy, deren Sohn Hanns Joseph Rothschild als einziger aus der Familie überlebte und heute 92 jährig in Südafrika lebt, wohnte mit ihrem Mann Hugo und Sohn Hanns in Melsungen in der Brückenstraße 12 unweit von Marktplatz entfernt. Ihnen allen gedachten die Freedbergs an dem Mahnmal „Gedächtnis der Gleise“ im Hauptbahnhof Kassel an dem Gleis, vom dem drei Deportationen in Vernichtungslager gingen, und auf dem jüdischen Friedhof in Melsungen. Dort wurden Vorfahren der Freedbergs aus drei Generationen der Familien Levy und Abt beerdigt, deren Gräber erhalten sind, u.a. auch das Grab von Sara Abt, geb. Nussbaum, eine Urgroßmutter von Louis und Jean Freedberg. Ihr Name und ihr Grab gaben Anfang der 1980er Jahre auch den Titel für den Romans „Das Geheimnis der Sara Abt“ von Michael Höhn, den dieser zusammen mit Hans-Peter Klein schrieb und der 2019 in einer überarbeiteten dritten Auflage wieder erschienen ist. Zugleich war dies damals der Anlass für Klein, sich auf die Spurensuche nach der historischen Sara Abt und ihrer Familie zu machen. Dabei lernte er auch Louis Freedberg kennen. An dem Grab ihres Urgroßvaters Leib Levy sprachen Louis und Jean Freedberg das jüdische Totengebet Kaddisch. Ältere Gräber von Vorfahren der Freddbergs aus der ersten Hälfte der 19. Jahrhunderts befinden sich auf dem jüdischen Sammelfriedhof in Binsförth.

Der Rundgang durch Melsungen schloss auch weitere Stolpersteine, das Rathaus, die Bartenwetzerbrücke und die ehemalige Synagoge mit jüdischer Schule und Mikwe in der Rotenburger Straße an. Sie ist seit 1941 im Besitz der Kreishandwerkerschaft. Eine Gedenktafel aus den 1980er Jahren durfte nicht am oder vor dem Haus, sondern nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgestellt werden.

Der Besuch der Freedbergs war neben den Erkundungen in Melsungen und Kassel mit Einladungen und Gesprächen zum Dinner im Ratskeller an den beiden Abenden mit Hans-Peter Klein und seiner Lebensgefährtin Irene Bauer bzw. mit Dr. Renate Heckmann-Mahler, die die Stolpersteininitiative in Melsungen gründete und Jean Freddberg kennt, und ihrem Mann Erwin Heckmann und zum Lunch bei der Familie Schröder, Besitzer des Hauses Am Markt 4, der heutigen Rosenapotheke.

Spuren in Osthessen

In Schmalnau erwarteten Dr. Michael Imhof und Brigitte Füller-Jerwin die Besucher aus den USA. In diesem Ort in der Nähe von Fulda lebte seit dem 18. Jahrhudert die Familie Kupfer in fünf Generationen. Juda / Joe Kupfer, geboren 1890 wanderte 1907 nach Südafrika aus und heiratete dort Grete Levy aus Melsungen. Sie waren die Großeltern von Louis und Jean Freedberg. In einem Rundgang durch den Ort zeigte Brigitte Füller-Jerwin, die die Geschichte der Juden in Schmalnau intensiv erforscht hat, den Freedbergs die Häuser, in denen die Familien Kupfer gewohnt haben und erläuterte an der Gedenktafel in der Dorfmitte nahe dem Haus, in dem sich früher die Synagoge befand, jüdisches Leben, Geschichte und Religion. Die Synagoge wurde erst 1984 unter unklaren Umständen abgerissen. In der Reichspogromnacht im November wurde sie nicht zerstört, da sie sich bereits seit 1936 in Besitz der Gemeinde Schmalnau befand, nachdem alle Juden aus dem Ort geflüchtet oder vertrieben waren.

Nach einer Kaffeepause mit hessischem Apfelschmandkuchen, zu der Brigitte Füller-Jerwin die Gäste in ihr Haus, die Rainmühle, eingeladen hatte, fuhr die Gruppe zum jüdischen Friedhof in Weyhers, einem Sammelfriedhof aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhuderts. Dort wurden auch Vorfahren der Freedbergs aus drei Generationen der Familie Kupfer begraben. Mit Hilfe von Beschreibungen und Fotos gelang es Michael Imhof und Hans-Peter Klein vor Ort diese Gräber zu finden. Mit einem Kaddisch am Grab von Gitta Kupfer, einer Schwester von Juda / Joe Kupfer, die im Alter von 30 Jahre 1913 starb, gedachten die Freedbergs ihrer Vorfahren in Schmalnau. Dazu hatte Alina Salganicoff eine Videoverbindung zu den beiden Brüdern Michael und David Freedberg in den USA geschaltet, so dass diese an der Zeremonie teilnehmen und auch das Gedicht „We remember you“ von Rabbi Kamens und Rabbi Riemer hören konnten: „As long as we live, you too shall live, for you are now a part of us. We remember you.

Am darauffolgenden Tag führte Michael Imhof die Freedbergs zu den Orten jüdischer Vergangenheit und Gegenwart in Fulda. Im jüdischen Kultuszentrum in der Schildeckstraße 13 erfuhren sie viel über das jüdische Leben heute. Besonders beeindruckt waren die Gäste vom Synagogenraum und dessen Ausgestaltung mit den farbigen Fenstern, die jeweils Themen der Thora aufgreifen. In der früheren Judengasse vermittelte Dr. Imhof ihnen anhand großformatiger Fotos einen Eindruck von der früheren Synagoge, dem jüdischen Viertel und dem alten Friedhof in der Rabanusstraße. Es wird wohl nicht der letzte Besuch der Freedsbergs in der Region Nord-Ost-Hessen. Ihre Reise ging dann weiter nach Südfrika, dort wo die beiden Familien Levy aus Melsungen und Kupfer aus Schmalnau sich kennengelernt, eine Familie gegründet und eine neue Heimat gefunden haben. Die Erinnerung an die Orte ihrer Vorfahren zu bewahren und auch an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, ist für die Freedbergs wichtig und deshalb haben sie auch ihre Kinder mit auf die Reise genommen. Mit großer Dankbarkeit verabschiedeten sie sich von den Menschen, die dies in Melsungen, Schmalnau und Fulda vorbereitet und ermöglicht hatten und mit denen sie eine innige und bleibende Freundschaft verbinden wird.

In einer Mail an Hans-Peter Klein, Michael Imhof und Brigitte Füller-Jerwin schrieb Jean Freedberg: „Like my brothers, I cannot express to you enough how you enriched my life during those days, by opening a window (many windows really) into our past, and giving so freely of yourselbves to the pursuit of uncovering it. But all that is in addition to the personal connection that I felt we all made, and your amazing generosity and hospitality throughout the trip. From hosting dinners and baking appelkuche and making appointments and showing us around the high and low points of jewish life in Hesse state, and – undoubteldy the emotional highlight – was us in saying Kaddish at the tombstones of our great grandparents, it felt as though you were each part of the journey with us.“

Hans-Peter Klein und Michael Imhof Melsungen und Petersberg im August 2022