Obermayer German Jewish History Award
Walter Ott
Münsingen-Buttenhausen, Baden-Württemberg
Im Jahr 1973 machte Walter Ott in Kisten und Kartons, die während der Renovierung der Schlosses Buttenhausen bei ihm gelagert wurden, eine erstaunliche Entdeckung: Unter den Dokumenten fanden sich etliche Belege zur 200-jährigen jüdischen Geschichte der Stadt, darunter z. B. der „Judenschutzbrief“ des Reichsfreiherrn von Liebenstein anlässlich der Ansiedlung der ersten 25 jüdischen Familien im Jahr 1787.
„Ich war beeindruckt von dieser Geschichte. Sie war tabu“, so Ott, der 1928 nahe Stuttgart geboren wurde und die meiste Zeit seines Lebens in der Landwirtschaft tätig war. „Über das Thema wurde in Buttenhausen nicht gesprochen; es war ganz neu für mich. Also fragte ich die Menschen: ,Warum sprecht ihr nicht mehr über die jüdische Gemeinde?‘, und sie meinten, ,oh, das ist so lange her.‘ Dies ist ein kleines Dorf, und niemand wollte darüber sprechen, aber die Wahrheit ist, dass drei Viertel der Bevölkerung hier Nazis waren.“
Ott sortierte und katalogisierte die in den Kisten und Kartons gefundenen Unterlagen und Dokumente und ergänzte sie durch Recherchen in den Stadtarchiven. Auf diese Weise entstand erstmals ein jüdisches Archiv, vom Jahr 1787 bis hin zur Deportation nach Theresienstadt, Auschwitz oder in andere Konzentrationslager in den letzten Jahres des Krieges. (Buttenhausen, tief in der Schwäbischen Alb gelegen, war ein Sammelpunkt, von dem aus Juden aus ganz Deutschland in die Konzentrationslager deportiert wurden).
Als fünffacher Vater und Landwirt auf einem ehemals königlichen 400-Hektar-Gut blieben Ott nur die Abende und Sonntage, um sich zu Hause durch ein „kreatives Chaos“ an Dokumenten und Unterlagen zu kämpfen und dieses vergessene Kapitel der Vergangenheit seiner Stadt zu dokumentieren. Das Ergebnis: Buttenhausen hat inzwischen ein von Ott aufgebautes Jüdisches Museum, wo der 81-Jährige bis heute Führungen macht (für Schulklassen ebenso wie z. B. für ehemalige Soldaten), bei denen er die Geschichte und Traditionen erklärt, die die Juden zurücklassen mussten.
Doch nicht nur das: Ott hat auch gemeinsam mit seinen Kindern den in der Reichspogromnacht zerstörten und seitdem verfallenen jüdischen Friedhof der Stadt wieder aufgebaut und Ausstellungen für Jugendliche gestaltet, in denen sie Einzelheiten über die Verbrechen des Dritten Reiches in der Region erfahren.
„Als ich mit meinen Recherchen begann und mich an den Wiederaufbau des Friedhofs machte, wurde ich von den Menschen in der Stadt nicht unterstützt. Sie sagten, sie wollten das nicht sehen. Sie hatten ihr Gedächtnis verschlossen und konnten sich nicht an die Geschichte erinnern“, so Ott.
„Deshalb ist es wichtig – und nötig –, dass junge Menschen hierher kommen und etwas über die jüdische Geschichte Buttenhausens erfahren. Heute sind die Einwohner dankbar, dass ich die Ausstellungen mache. Es kommen Schulklassen, um Originaldokumente und Fotos von der ehemaligen jüdischen Gemeinde zu sehen, und das ist mir besonders wichtig.“
Ott war als Junge Mitglied der Hitlerjugend und machte während des Zweiten Weltkriegs eine landwirtschaftliche Ausbildung. Sein Vater, der bei der Bahn arbeitete, war ein vehementer Gegner des Nationalsozialismus; Otts älterer Bruder, ein Funkspezialist, musste jedoch als 19-Jähriger mit der Wehrmacht nach Russland ziehen und kam in Stalingrad ums Leben. Nach dem Krieg trat Ott in Buttenhausen eine Stellung in der Landwirtschaft an, und schon 1956 fand er erste schriftliche Belege für die einstige jüdische Gemeinde der Stadt. Aber erst als das Schloss restauriert wurde und die Fülle an historischen Dokumenten den Weg in sein Haus fand, nahm Ott die Mission auf.
Beim Studium der Dokumente stieß Walter auch auf die Namen der jüdischen Familien, die über Jahrhunderte in Buttenhausen gelebt hatten. Aber als er Fragen dazu stellte und seine Recherchen im Ort bekannt wurden, versuchte der Bürgermeister ihn davon abzuhalten, weiter in der Geschichte zu graben“, erinnert sich Donald Harrison aus San Diego, Kalifornien. „,Was ich tue, ist meine eigene, private Angelegenheit, und das geht niemanden etwas an‘, erwiderte er, und setzte seine Arbeit fort. Im weiteren Sinne ist Walter Ott von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung des Gedenkens an eine wichtige ehemalige jüdische Gemeinde in Südwestdeutschland.“
Neben der Arbeit auf dem verlassenen jüdischen Friedhof sammelte Ott auch Familienzeugnisse und bemühte sich unermüdlich um Kontakt zu den Nachfahren der Buttenhausener Juden. Inzwischen waren schon viele von ihnen aus aller Welt mit ihren Familien zu Besuch. Ott nahm Verbindung zu Archiven in Auschwitz, Berlin und Israel auf; eine deutsche Fernsehstation hat seine Arbeit in dem Film „Von Menschen und Steinen“ dokumentiert.
1997 erhielt Ott in Stuttgart die Otto-Hirsch-Medaille, die im Gedenken an den im Konzentrationslager umgekommenen ehemaligen Präsidenten des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg und späteren Geschäftsführenden Vorsitzenden der Reichsvertretung der Juden in Deutschland verliehen wird.
Heute kommen Schulkinder und deutsche Soldaten aus der ganzen Region ins Buttenhausener jüdische Museum, um etwas über ihre schwierige Vergangenheit zu erfahren, damit „sie sehen, wie es wirklich war“.
„Die Menschen, die ich wiederentdeckt habe, waren Bürger von Buttenhausen“, so Ott. „Da gab es bis 1933 eine Gemeinde, und dann endete plötzlich alles. Es war so schwer, so schwer, als die ehemaligen Juden von Buttenhausen, die während der Nazizeit fliehen konnten, zurückkamen und über ihre Erfahrungen sprachen. Für mich war das Schlimmste an Buttenhausen, dass es eine Art ,Durchgangslager‘ war, in das Juden aus dem ganzen Land, von Karlsruhe bis München, gebracht wurden, bevor sie endgültig in den Tod deportiert wurden. Es war ein Sammelpunkt für die großen Städte.“
Und was sagt die junge Generation zu Otts Arbeit?
„Viele fragen: ,Warum haben meine Eltern nicht mit mir über diese Zeit gesprochen?‘“, so Ott. „Das Thema wurde in vielen Familien einfach totgeschwiegen. Es ist sehr wichtig, dass junge Menschen von sich aus kommen. Sie machen Fotos. Sie sprechen in kleinen Gruppen miteinander. Sie zeigen Interesse.“
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