Obermayer German Jewish History Award

Ilse Vogel

Üchtelhausen, Bayern

Mit einem fröhlichen Fest in Diespeck im Jahr 2003 zeigte Ilse Vogel, welche lebendige Vielfalt in dem fränkischen Dorf einst aus einer Wurzel erwuchs. Diespecker und Nachkommen früherer Dorfbewohner feierten zusammen mit Klezmermusik und koscherem Essen, erfuhren in Vorträgen und Führungen von der jüdischen Geschichte des Ortes. Einwohner, die zum ersten Mal von der früheren Synagoge des Ortes hörten, trafen Menschen von verschiedenen Kontinenten, die zum Teil gar nicht wussten, dass ihre Vorfahren Juden waren. “Ich will die Wurzeln wieder wässern”, sagt die 65-Jährige, die das Fest maßgeblich mitgestaltet hat.

Mehr als zehn Jahre hat Ilse Vogel die jüdische Vergangenheit Diespecks erforscht. Mit ihrer Kamera dokumentierte sie die Grabsteine des Judensäckers, des jüdischen Friedhofs und recherchierte zu den Beerdigten. Sie lernte sogar Hebräisch, um die Inschriften übersetzen zu können. Sie hält Vorträge, macht Führungen und organisierte Ausstellungen. Am Volkstrauertag veranstaltete sie eine Gedenkfeier zu Ehren der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten des Dorfes. “Es war wichtig, dass sie den jüdischen Teil der Ortsgeschichte aufgearbeitet hat, das war ja vielen nicht mal bekannt”, sagt Bürgermeister Helmut Roch.

Doch Vogel, die heute bei Schweinfurt in Bayern lebt, hatte ursprünglich nicht vor, die jüdische Vergangenheit Diespecks zu erforschen. Zwar lebte sie als Kind mehrere Jahre im Dorf. Mit Mutter und Schwester hatte sie hier während des Zweiten Weltkriegs vor den alliierten Bombenangriffen auf Nürnberg bei den Großeltern Schutz gesucht. Auch schrieb sie als Studentin eine Arbeit über die Diespecker Dorfgeschichte. Doch obwohl sie bei der Recherche auf sehr viel Material zu Juden stieß, beschäftigte sie sich nicht weiter mit dem Thema. “Ich hatte das Gefühl, ich trage die Schuld aller Deutschen auf meinen Schultern, das hielt mich ab”, erklärt sie rückblickend. “Ich bin zu dem Thema nicht aus Eigeninitiative gekommen, ich musste geschubst, gestoßen und getrieben werden.”

Ihr Glaube gab einen wichtigen Anstoß. Seit 25 Jahren ist sie in verschieden Funktionen in der evangelischen Kirche aktiv. Sie war Frauenbeauftragte, leitet Gesprächskreise und hat die Befähigung, Predigten in Gottesdiensten zu halten. Seit den späten siebziger Jahren beschäftigte sie sich intensiver auch mit anderen Religionen. “Wo liegen die Wurzeln des Christentums?”, begann sie sich zu fragen. “Dies führte mich zum Judentum”, sagt sie. Als sie dann 1989 vom Heidelberger Archiv um Information zum Diespecker Friedhof gebeten wurde, gab dies den letzten Ausschlag für ihre Forschungen.

Heute ist sie eine Expertin. In ihrem Buch “Koscher oder Terefa” beschreibt sie wie Juden und Christen in Diespeck friedlich zusammenlebten und eine gemeinsame Dorfkultur schufen. Durch ihre Recherchen fand sie sogar heraus, dass die jüdischen Häuser im Ort eine typische Architektur aufwiesen. “Sie haben fünf Fenster zur Straße und ein Zwillingsfenster am Dachgiebel”, erklärt sie. “Sie stehen für die fünf Bücher Mose und für die zwei Tafeln mit den zehn Gesetzen.” Inzwischen hat sie auch zu David Diespeck, einem im 18. Jahrhundert bekannten Rabbi aus dem Dorf, geforscht.

Mit ihrem Wissen über Familiengeschichten von früheren Diespeckern half sie vielen Nachfahren bei Recherchen. Claudine Herman aus dem französischen Massy traf Vogel 1990, als sie nach Informationen zu ihren Vorfahren suchte. “Durch ihre Arbeit wird eine kleine Welt wieder lebendig, die Namen der Toten werden vor dem Vergessen bewahrt”, sagt sie. Eliane Roos Schuhl aus Paris sagt: “Vogels Botschaft an die Menschen ist klar: Hier lebten einst Juden und sie bereicherten das Leben des ganzen Dorfes. Lasst uns das nicht vergessen.”

Nicht immer wird dies verstanden. Ihr Projekt, den früheren Judenhof, Keimzelle jüdischen Lebens im Dorf, in ein Kultur- und Begegnungszentrum umzuwandeln, konnte sie noch nicht verwirklichen. Aber Vogel ist Widerstände gewohnt. “Ich kann warten”, sagt sie. Dennoch trifft sie mit ihrer Botschaft mehr und mehr auf offene Ohren. Diespeck hat den Judensäcker für ein EU-Programm vorgeschlagen. Der Ort stellt außerdem selbst Mittel für eine Ko-Finanzierung, damit der Friedhof Instand gesetzt und dokumentiert wird. Auch werden Vogels Erkenntnisse über Grabsteine und Familienbeziehungen digitalisiert und veröffentlicht. Und inspiriert von Vogel hat im benachbarten Pahres der Besitzer einer Brauerei angefangen die Geschichte des Familienunternehmens und seiner Beziehungen zu jüdischen Händlern aufzuarbeiten.

Dieses Jahr wird es wieder ein Fest geben. Rund 30 Menschen aus aller Welt mit Namen Diespecker oder Dispecker wollen in das Dorf kommen, dem sie ihren Namen verdanken. Und es werden wieder neue Triebe aus alten Wurzeln wachsen, die Ilse Vogel wässert.

 
 

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