Obermayer German Jewish History Award

Lothar Bembenek und Dorothee Lottmann-Kaeseler

Wiesbaden, Hessen

Als der Lehrer Lothar Bembenek 1975 zu unterrichten begann, war er unzufrieden mit dem Lernmaterial zum Nationalsozialismus. “Es zeigte nicht anschaulich, was vor Ort geschehen war,” erinnert sich 57-jährige Wiesbadener. Aber er fand einen Weg, den Unterricht lebendiger zu gestalten. Bembenek kannte einen Kommunisten, der zwei Mal im Konzentrationslager inhaftiert worden war. Er interviewte ihn und spielte die Aufnahme vor seiner Klasse ab. “Meine Schüler hat das sehr interessiert”, sagt er. “Danach dachte ich, man müsste mehr machen und begann zu forschen.”

Mehr als ein Vierteljahrhundert später haben sich ihm 200 Mitstreiter angeschlossen. Seine Initiative führte zur Gründung des “Aktiven Museums Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden”, in den vergangenen 13 Jahren unter dem Vorsitz von Dorothee Lottmann-Kaeseler.

Während Bembenek eher der Spezialist für wissenschaftliche Forschung und die Arbeit im Hintergrund ist, liegen Lottmann-Kaeselers Stärken in Kommunikation, Organisation und Networking. Sie baute die Kontakte mit Überlebenden und Emigranten aus, die Bembenek geschlossen hatte, und machte den Austausch zu einem Herzstück der Vereinsaktivitäten. Unter ihrer entschlossenen Führung – in den ersten Jahren ehrenamtlich, seit 1998 mit einer Aufwandsentschädigung - konnte das Aktive Museum nicht nur den Erhalt und die Sanierung des ältesten jüdischen Gebäudes der Stadt erkämpfen. Der Verein schuf viele innovative Ansätze für das Gedenken und die Wissensvermittlung, wobei insbesondere junge Leute einbezogen wurden. Lottmann-Kaeseler kümmert sich um genealogische Anfragen, intensiviert die Kontakte zu anderen Institutionen und setzt neue Projekte um. “Dorothee ist ein Mensch voller Energie, mit viel Sinn für Humor. Sie hat viele Ideen, wie den Einwohnern die jüdische Geschichte ihrer Stadt näher gebracht werden kann”, sagt Ruth Pewzner, deren Wurzeln in Wiesbaden liegen.

Bembeneks Liste von Verdiensten war bereits lang, bevor er das Aktive Museum gründete. Seit den siebziger Jahren hat er die lokale Geschichte Wiesbadens erforscht. Er trug mehr Material über Widerstand und Verfolgung während der Nazi-Zeit zusammen als jedes andere Archiv in der Stadt - eine umfangreiche Sammlung von Fotos, Dokumenten und Interviews auf Video und Tonband, die heute den Grundstock der Vereinsbestände bilden. “Ich erlebte Lothar als einen wirklich bescheidenen Menschen, sehr freundlich und mit großem Einfühlungsvermögen, immer fragend, um so viel wie möglich zu lernen”, sagt Eric Kahn, ein früherer Wiesbadener, der von Bembenek interviewt wurde.

Im Jahr 1985 provozierte Bembenek einen öffentlichen Skandal in seiner Heimatstadt, als er aus Protest eine von SS-Veteranen mitorganisierte Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag störte - mit Erfolg: die kriegsverherrlichende Zeremonie wurde geändert. Für seine Recherchen fuhr der Lehrer sogar in Gefängnisse, um dort gelagerte Akten einzusehen. Zu jüdischen ehemaligen Einwohnern begann er Kontakte aufzubauen. Vier Jahre lang reiste er in fast allen Schulferien mit Tonband und Kamera nach Israel. “Ich wurde mit persönlichen Schicksalen konfrontiert und jedes Gespräch zeigte mir, dass ich weitermachen musste”, erklärt er.

Als Bembenek herausfand, dass das drittälteste Gebäude Wiesbadens früher eine Mikwe - ein Jüdisches Badehaus - war, reifte der Gedanke, einen Verein zu gründen. “Die Idee war, nicht nur dieses Zeugnis der jüdischen Vergangenheit zu bewahren, sondern auch das Gedenken an die Opfer und die Forschung auf eine breite Basis zu stellen,” sagt er. Lottmann-Kaeseler, die in Essen aufwuchs und 1978 nach Wiesbaden zog, traf ihn 1987. Zu dieser Zeit kümmerte sie sich vorrangig um die Erziehung ihrer Tochter. Sie fing an, in ihrer Freizeit in dem Projekt mitzuarbeiten und engagierte sich im Lauf der Zeit immer mehr. “Ich bemerkte schnell, wie wenig ich über den Holocaust hier vor Ort wusste”, sagt die 60-Jährige. “Ich wusste ziemlich viel über Auschwitz, aber fast nichts über Wiesbaden.” Die beiden und ihre Mitstreiter wollten mit dem Verein mehr als ein klassisches Museum schaffen, in dem die Vergangenheit einfach nur “aufbewahrt” wird. Eines der ersten Projekte, eine mobile Ausstellung, die die Deportationen von Wiesbaden im Jahr 1942 dokumentierte, wurde an verschiedenen Orten in der Stadt gezeigt. “Für uns ist es wichtig, den Opfern ihre Namen und Gesichter zurück zu geben, ihre Bedeutung für die Gesellschaft und ihre kulturellen Beiträge sichtbar zu machen”, erklärt Bembenek. Rund 3.000 Menschen, von denen jeder ein Blatt mit Informationen zu Leben, Arbeit und Sterben eines deportierten Juden trug, beteiligten sich an einem “Mahngang” 1992. “Die Menschen stellten fest, dass es ihre Schulen, ihre Wohnhäuser und ihre Büros betraf”, sagt Lottmann-Kaeseler.

Insbesondere auch Jugendliche will das Aktive Museum ansprechen. Wiesbadener Studenten produzierten kürzlich per Computer die virtuelle Rekonstruktion einer Synagoge im Elsaß und entwickelten dabei eine Fülle von Ideen, wie das Gebäude bewahrt werden kann. Bis zu 20 Computer-und Designstudenten hatten bereits von 1998 bis 2000 an der virtuellen Rekonstruktion der Wiesbadener Michelsberg Synagoge gearbeitet, die in der Reichspogromnacht zerstört worden war. Anhand von Fotos schufen sie eine interaktive dreidimensionale Simulation, die das zerstörte Gebäude im maurischen Stil wieder erfahrbar werden lässt. Im Rathaus ist das Projekt ausgestellt. “Viele junge Leute kennen Juden höchstens aus dem Fernsehen”, sagt Lottmann-Kaeseler, “wir wollen ihnen einen unbefangeneren Umgang beibringen, damit sie nicht aus Unwissenheit oder Unsicherheit Vorurteile bilden.”

 
 

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