Hashomer Hatzair Berlin: Eine Jugendbewegung auf den Spuren ihrer eigenen Geschichte

Mitglieder der jüdischen Jugendgruppe sind nach Israel gereist, um mehr über die Bewegung in den 1930er herauszufinden. Lilli Stötzler von Widen the Circle hat sie begleitet.

Lilli Stötzler

Vor einundneunzig Jahren, im Jahr 1931, gründete die jüdische Jugendorganisation Hashomer Hatzair eine Ortsgruppe in Berlin. Sie bestand acht Jahre, bevor sie 1939 verboten wurde. Es dauerte weitere 73 Jahre, bis sich die Organisation in Berlin wieder gründete, und nur wenig ist über die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg bekannt. Wie organisierte sich Hashomer Hatzair in den 1930er Jahren, wer waren seine Mitglieder und was ist aus ihnen geworden? Diesen Fragen nachzugehen hat sich die Berliner Ortsgruppe zur Aufgabe gemacht. Ich hatte das große Glück, sie auf einem Teil dieser Entdeckungsreise zu begleiten.

Was ist Hashomer Hatzair

Hashomer Hatzair ist eine progressive, säkulare jüdische Jugendbewegung, die Freizeit- und Bildungsprogramme für Kinder und Jugendliche anbietet. Die Aktivitäten werden von der Ortsgruppe organisiert, dem sogenannten Ken ("Ken" bedeutet auf Hebräisch "Nest"), und werden von jungen Mitgliedern geleitet - Jugend leitet Jugend. Die Organisation wurde 1913 im damaligen Galizien gegründet und hatte 1939 über 70.000 Mitglieder. Heute hat Hashomer Hatzair mehr als 10.000 Mitglieder in Israel und ist in 27 Ländern aktiv.

Zwischen 1931 und 1938 hatte die Organisation Kenim in vielen Städten Deutschlands. Jetzt, 10 Jahre nach der offiziellen Wiedereröffnung 2012, hat das Berliner Ken ein Forschungsprojekt gestartet, um die Spuren und Erinnerungen früherer Generationen in der Stadt zu erforschen. Eine Delegation von Hashomer Hatzair-Mitarbeiter*innen, Mitgliedern und Gästen verbrachte im März acht Tage in Israel, um Nachforschungen anzustellen, Nachfahren zu treffen und das Projekt und sein Anliegen bekannter zu machen.

Die Forschungsreise in Israel: Kibbuzim und Jerusalem

Ein großer Teil der Mitglieder von Hashomer Hatzair entkamen in den 1930er Jahren dem Nationalsozialismus, indem sie nach Palästina auswanderten. Als Teil der sozialistischen Bewegung bauten viele dieser jungen Menschen ihr neues Leben in einem Kibbuz auf. Und so begann das Geschichtsprojekt mit einer Reise nach Israel, um mehrere Kibbuzim zu besuchen. Das Ziel: Spuren der Menschen und der Aktivitäten von Hashomer Hatzair Deutschland zu finden.

Die Gruppe bestand aus aktiven Mitgliedern und Mitarbeiter*innen von Hashomer Hatzair in Berlin, Freiwilligen mit großem Interesse an diesem Thema und notwendigem know-how, sowie Gästen von befreundeten Organisationen wie den Falken, der Amadeu Antonio Stiftung und Widen the Circle. Das Lernen über die Kibbuz-Bewegung, der Besuch lokaler und nationaler Archive und das Treffen mit Nachfahren standen im Mittelpunkt dieser Erfahrung. Wir besuchten mehrere Kibbuzim nördlich von Tel Aviv, besuchten Yad Vashem, das World Holocaust Remembrance Center, und das Zionismusarchiv seinem Herzlraum in Jerusalem und hielten sogar eine Veranstaltung ab, um unser Projekt im markanten YMCA Three Arches Hotel in Jerusalem interessierten Personen vorzustellen.

Einer der Höhepunkte der Reise war für mich zu sehen und zu hören, wie sich die Kibbuzim im Laufe der Zeit entwickelt haben. Und wie die Gründer*innen jeden einzelnen Stein abtragen mussten (die Gegend “entsteinen”), um den Boden fruchtbar zu machen und ihren gemeinschaftlichen Lebensraum zu schaffen.

Die Geschichtsarbeit

Im Jahr 2012 wurde Hashomer Hatzair in Berlin wiedergegründet. Aber was bedeutet "wieder", wenn man so wenig über das Leben dieser Bewegung vor mehr als 80 Jahren weiß? Eine Verbindung der Mitglieder von heute mit den Mitgliedern in den 1930er Jahren zu schaffen, zu wissen, was diese Bewegung für die Jugendlichen vor fast 100 Jahren bedeutete und wie sie die Aktivitäten und Traditionen erlebten - das war das Hauptziel für Nitzan Menagem, die Vorsitzende des Berliner Ken, und der Anlass dieses Projekt zu initiieren.

Bevor die Delegation nach Israel aufbrach, waren nur wenige Informationen bekannt: ein paar Namen von Mitgliedern, die Adresse des Hauptsitzes, die Zeit, in der die Bewegung aktiv war. Die verschiedenen Kibbuzim haben ihre eigenen Archive mit Informationen, die hoffentlich zu einem besseren Verständnis der Bewegung beitragen werden. Nachdem die Gruppe viele Stunden in den Archiven verbracht hat - Briefe von Israel nach Deutschland gesichtet, Fotos gescannt, neue Namen in Versammlungsprotokollen und Auswanderungslisten gefunden hat - kann nun die Auswertung dieser beginnen und damit hoffentlich mehr Licht in die Vergangenheit von Hashomer Hatzair gebracht werden.

Was ich aus dieser Recherche mitnehme, ist, dass Geschichtsarbeit ein bisschen eine Mischung aus Schnitzeljagd und Puzzle ist: Es geht nicht nur darum, was man findet und wie man es zusammensetzt; es geht auch darum, herauszufinden, wo man suchen muss. Erst dadurch, dass wir vor Ort waren, wissen wir welches Archiv welche Informationen hat. Die Geschichte der Arbeit von Hashomer Hatzair zur Bewahrung der Geschichte des Berliner Kens ist noch lange nicht zu Ende. Jetzt, zurück in Berlin, werden die Mitglieder damit beginnen, die in Israel gesammelten Informationen zusammenzufügen. Wahrscheinlich werden sie feststellen, dass noch einiges benötigt wird. Es ist ein Anfang, aber es ist ein vielversprechender Anfang. Wir sind gespannt wie sich das Geschichtsprojekt entwickelt und freuen uns darauf wie es weiter geht.

Vielen Dank, liebes Team von Hashomer Hatzair, dass ich bei dieser wunderbaren lehrreichen und eindrucksvollen Reise dabei sein durfte!

 
 

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