„Klar haben wir Spaß, [aber] manchmal ist es ist wirklich schwer.“

Die Schalker Fan-Initiative hat bei der Bekämpfung von Vorurteilen und Extremismus im Fußball Pionierarbeit geleistet

Toby Axelrod

In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs im gerade wiedervereinigten Deutschland wurde eine Fußballfaninitiative ins Leben gerufen, um Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bei Sportfans in Gelsenkirchen zu bekämpfen.

Die Schalker Fan-Initiative, 1992 als Schalker gegen Rassismus gegründet, begann als kleine Gruppe, die mit Transparenten demonstrierte, und hat sich seitdem zu einer großen Gruppe mit vielen Ehrenamtlichen und Programmen entwickelt.

Die Probleme, die die Initiative bekämpfen wollte, sind leider nicht verschwunden. Aber Dr. Susanne Franke, heute Beisitzerin und ehemalige Vorsitzende der Initiative, gibt nicht auf. „Man kann mit der Arbeit nicht aufhören. Es gibt einfach keine Alternative“, sagt Susanne Franke, die schon immer Fußballfan war und seit fast 25 Jahren bei der SFI ehrenamtlich tätig ist. „Ich bin nicht bereit, auch nur für einen Tag aufzuhören.“


Susanne Franke kam im November 1965 in der Kohlestadt Gelsenkirchen zur Welt. Als Kind begleitete sie ihren Vater zu den Spielen des Bundesligavereins Schalke 04 im damaligen Parkstadion. Auf dem Weg dorthin liefen sie an den Zechen vorbei. Später liebte sie zwar immer noch den Fußball, mied jedoch das Stadion, weil sie mit manchen Fans und ihrer Neonazi-Ideologie nichts zu tun haben wollte.

„Die frühen 90er in Deutschland waren schrecklich“, sagt die promovierte Anglistin. „Häuser, in denen Geflüchtete wohnten, wurden in Brand gesteckt“ und Neonazi-Banden griffen Asylsuchende – und auch Hippies und Punks – mit Baseballschlägern an.

„Die ganze Atmosphäre trieb mich weg vom Fußball, weil der Fußball selbst quasi zum Feind wurde. Warum sollte ich zu einem Ort hingehen, wo man mich wahrscheinlich beschimpfen würde? Etwa: ‚Du Scheißhippie! Was machst du hier?’ Solche Sachen“, sagt sie. „Erst als die Schalker Fan-Initiative gegründet worden war, hat ein Freund gesagt: ‚Susanne, du kannst wiederkommen. Hier gibt es gute Menschen.‘“

Von Schalke 04-Fans gut zwei Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer gegründet, war SFI eine Antwort von unten auf die turbulenten Zeiten. Ihr auffälliges Logo – ein Fußballschuh, der ein Hakenkreuz tritt – wurde auf ein Transparent gedruckt und am 9. November 1992 bei der jährlichen Kundgebung zur Erinnerung an die „Kristallnacht“, den antijüdischen Pogrom von 1938, durch die Straßen von Gelsenkirchen getragen.

„Wir waren die ersten, die das Symbol benutzten“, sagt Susanne Franke. „Heute wird es in ganz Deutschland kopiert, und das ist völlig in Ordnung. Alle sollten das Logo zeigen!“

Die ersten großen Themen waren recht einfach, sagt sie. „Es gab Neofaschisten und es gab Rassisten. Und natürlich bedeutet Neofaschismus Antisemitismus.“

Die Website der SFI erläutert die Ziele der Gründer*innen: „Wir wollen den Verein, den Fußball und unsere Stadt feiern. ... Die Empörung über die zunehmende Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und Gewalt in unserem Land, in unserer Region und vor allem im Stadion endete nicht in Tatenlosigkeit, sondern in vielen Projekten, Programmen und Aktionen. Ehrenamtlich, mit jeder Menge Arbeit – und Spaß!“ 

„Klar haben wir Spaß“, sagt Susanne Franke. Aber „manchmal ist es ist wirklich schwer.“

„Kraft, Energie und Mut“

Die Freiwilligen der ersten Zeit kamen zu dem Schluss, dass sie nicht das ganze Land von diesen Geißeln erretten konnten. Aber sie wollten in ihrem Zuhause keinen Hass tolerieren. „Und unser Zuhause war das Stadion. Also der Weg zum Stadion – in der Straßenbahn, im Bus – und im Stadion selbst“, sagt Franke.

Sie trugen ihre Transparente und ihre Schals mit dem Logo und mussten „rausfinden, wie wir nicht zusammengeschlagen werden würden“, sagt sie. Die Gruppe erregte Aufsehen. Menschen anderswo wurden darauf aufmerksam und fragten: Was ist denn da drüben in Gelsenkirchen los?

Sie brauchten „Kraft, Energie und auch Mut, um das zu machen“, sagt sie. „Die Strategie war einfach: je mehr Leute mitmachen, desto besser.“

Der Fußballverein Schalke 04 „mochte uns anfangs nicht so sehr“, sagt Susanne Franke. Er schickte der Schalker Fan-Initiative eine Rechnung für die Beseitigung von Flugblättern, die nach einem Spiel im Stadion herumlagen. „Wir starrten die Rechnung an und sagten: ‚3.000 Mark?‘“

Man kann mit der Arbeit nicht aufhören. Es gibt einfach keine Alternative.
— Susanne Franke

Aber eines Tages nahm die Polizei einen Mann fest, der eine Unterkunft für Geflüchtete in Brand gesteckt hatte. „Und auf dem Pressefoto war zu erkennen, dass er ein Schalke 04-T-Shirt anhatte. Was?! Das hat sie umgestimmt, und sie sagten: ‚Die Rechnung, die könnt ihr vergessen!‘

„Das war ein enormer Wendepunkt. Und dann sagte man einigen Leuten aus dem Management von Schalke 04 und auch Spielern: ‚Hey, macht bei denen mit.‘ In den ganz, ganz frühen Jahren haben manche Spieler Flugblätter mit ausgeteilt oder an einem Infoabend teilgenommen,“ erinnert sie sich.

Heute begrüßt der Fußballverein die Arbeit der SFI und erkennt ihre Gründer*innen als „Unterstützer unseres Klubs“ an, die sich "von Anfang an sehr aktiv gegen Antisemitismus eingesetzt“ und „jüdisches Leben in Deutschland heute und gestern sichtbar“ gemacht haben, sagt Thomas Spiegel, Sprecher des FC Schalke 04. Die SFI „ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Fußballbegeisterung und soziales Engagement Hand in Hand gehen können.“

Im Laufe der Jahre hat sich der Schwerpunkt der Arbeit der SFI über den Rassismus hinaus weiterentwickelt und adressiert jetzt auch Diskriminierung gegen Homosexuelle, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Wohnungslose und Frauen. Die SFI ist zu einem Vorbild für andere Initiativen in der Sport-Community geworden. 

Heute bestreiten 10 Ehrenamtliche, darunter Susanne Franke, die meiste Arbeit der Initiative; es gibt rund 400 Vereinsmitglieder in ganz Deutschland und einige im Ausland. Die SFI arbeitet eng mit der internationalen Organisation Football Against Racism in Europe (FARE) zusammen und ist Teil des Netzwerks Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage.

Hauptsitz der Schalker Fan-Initiative ist ein Fanladen auf der „Schalker Meile“. Er wurde 1996 als Treffpunkt für alle Fans vor den Heimspielen eröffnet. Man kann dort an kleinen Veranstaltungen teilnehmen und Fanartikel kaufen, und es werden zum Beispiel Spenden für Geflüchtete aus der Ukraine gesammelt. Der Fanladen dient auch als Büro der SFI. 

Zunächst war Susanne Franke einfaches Mitglied und hielt sich gerne im Fanladen auf. Irgendwann wurde sie angesprochen, um beim Fundraising und beim Aufbau eines Führungsteams zu helfen, erzählt sie. „Jemand sagte: ‚Ja, du bist die Richtige.‘ Ich sagte: ‚Okay, aber ich lebe in Köln. Ich arbeite in Vollzeit‘“ für ein IT-Unternehmen.

Dennoch hat sie den Sprung gewagt und wurde 2006 Vorsitzende. Nach acht Jahren in dieser Position ist sie heute als Beisitzerin tätig. Hauptberuflich leitet sie die Unternehmenskooperation bei Don Bosco Mondo e.V., einer Organisation für internationale Entwicklungszusammenarbeit mit Sitz in Bonn. 

Die SFI fühlte sich verpflichtet, aus der Vergangenheit zu lernen, und begann, die Geschichte der Juden bei Schalke 04 zu erforschen. Darauf aufbauend f leistet die SFI in enger Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde vor Ort Bildungsarbeit über die Nazizeit. 

Die Schalker Fan-Initiative hat dazu beigetragen, die Geschichte des jüdischen Lebens in Gelsenkirchen und das Schicksal der dortigen jüdischen Gemeinschaft während des Holocaust öffentlich zu machen. Die SFI hat die Verlegung eines Stolpersteins in Gelsenkirchen gesponsert, der Jüdinnen und Juden gewidmet ist, deren Eigentum 1938 von einem Spieler des FC Schalke 04 im Zuge der „Arisierung“ zu einem Bruchteil seines Werts gekauft wurde.

„Und hier in Gelsenkirchen, bei unserem FC Schalke 04, hatten wir auch einen jüdischen Spieler, Ernst Alexander, der nicht mehr spielen durfte und schließlich nach einer langen Odyssee in Auschwitz ermordet wurde“, sagt Judith Neuwald-Tasbach, Ehrenvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop. „Indem wir uns an diese Menschen erinnern, wirken wir dem Vergessen entgegen und sorgen dafür, dass wir aus der Vergangenheit Lehren für die Zukunft ziehen.“

„Wir wollten reden”

Im gemeinsamen Projekt „Laufend erinnern“ mit dem Institut für Stadtgeschichte hat die SFI Online-Biografien und Podcasts über Menschen kreiert, die von den Nazis verfolgt wurden und deren Gräber im 125 Jahre alten Westfriedhof liegen. Ein Gedenkstein, in den die Namen dieser Menschen eingraviert sind, ist Teil des Projekts; gegenwärtig gibt es acht Folgen des Podcasts. 

Darin sprechen die Ehrenamtlichen und Fachleute über die Biografien und erzählen von ihren Erfahrungen beim Aufdecken dieser Geschichte. „Wir wollten reden”, nachdem wir so lange „diese verdammten Nazidokumente angestarrt hatten. Alle paar Tage war ich den Tränen nahe“, sagt Susanne Franke, die das Projekt gemanagt hat.

Jetzt haben sie vor, die Geschichte eines Zwangsarbeiterlagers aus dem Zweiten Weltkrieg im Stadtteil Schalke-Nord zu recherchieren, in dem Waffen produziert wurden.

Die Schalker Fan-Initiative organisiert zahlreiche Veranstaltungen, von Lesungen und Filmvorführungen bis hin zu Vorträgen, Workshops und Fußballspielen, alle mit dem Ziel, die Integration zu fördern und den Rassismus zu bekämpfen. Zudem hat die Initiative kürzlich eine Kampagne gegen sexuelle Übergriffe im öffentlichen Verkehr bei großen Fußballveranstaltungen durchgeführt.

„Dabei erreicht die Initiative durch ihre Arbeit Zielgruppen, die üblicherweise wenig oder gar keine Berührungspunkte mit der Geschichte haben“, merkt Stefan Schirmer vom FC Ente Bagdad an, der 2023 mit dem Obermayer Award ausgezeichnet wurde. FC Ente Bagdad ist eine Amateur-Fußballverein in Mainz, der unter anderem Antirassismusprogramme durchführt und durch sportliche Aktivitäten die Integration von Migrant*innen unterstützt. Laut Schirmer ist die Schalker Fan-Initiative seit Langem wegweisend, und andere Organisationen, wie auch seine, lassen sich durch sie inspirieren. 

Weitere Aktivitäten der Schalker Fan-Initiative sind unter anderem:

  • Aufnahme eines Antirassismus-Paragraphen in der Vereinssatzung des FC Schalke 04 (1994) und von Stadionverboten für Mitglieder rechtsextremistischer Parteien,

  • Kampagnen und Projekte für Integration und gegen Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung, Sexismus und Homophobie,

  • Ansprechpartner für Medien zum Thema Antirassismus im Fußball,

  • Arbeit mit Jugendlichen und Geflüchteten in Gelsenkirchen,

  • Veranstaltung von Lesungen, Filmvorführungen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Workshops und Fußballturnieren

und vieles mehr.

Susanne Franke befürchtet, dass Probleme wie der Antisemitismus niemals vollkommen verschwinden werden. Das macht es umso wichtiger, sagt sie, sich weiterhin darum zu bemühen, aus der Gesellschaft im Allgemeinen und Fußballfans im Besonderen das Beste herauszuholen.

Und ihre Mitstreiter*innen und Freund*innen sind derselben Meinung.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig es ist, Leute aus der Fankurve außerhalb des Stadions für Politik zu begeistern“, sagt Stephan Lahrem, Vorstand von Gesellschaftsspiele e.V., eines Vereins in Berlin, der sich dafür einsetzt, eine positive Fußballkultur aufzubauen und Vorurteilen und Diskriminierung entgegenzuwirken. 

„Wem es über Jahre hinweg gelingt, Fußballfans nicht nur für einmalige Aktionen zu gewinnen, sondern mit ihnen kontinuierlich an erinnerungspolitischen Projekten zu arbeiten; wer ... dazu beiträgt, ein ressentimentgeladenes Umfeld wie ein Fußballstadion zu einem Ort zu machen, an dem Menschenwürde, Respekt und Toleranz zu verbindlichen und geachteten Werten werden“, der verdient Anerkennung, sagt Lahrem.

Neuwald-Tasbach, Ehrenvorsitzende der Jüdischen Gemeinde vor Ort, kommentiert: „Gerade in der heutigen Zeit ist es so wichtig, zusammenzustehen und für unser gemeinsames Ziel eines friedlichen, toleranten und fairen Miteinanders zu kämpfen und jedem aufkommenden Rassismus, jeder Diskriminierung und jedem Antisemitismus klar die rote Karte zu zeigen. Und es ist wirklich gut, die Fan-Ini an unserer Seite zu haben.“

— Obermayer Award 2025