Obermayer German Jewish History Award

Klaus Dietermann

Netphen, Nordrhein-Westfalia

Es begann mit einer Synagoge, die in der Reichspogromnacht zerstört wurde. Auf ihren Grundmauern wurde ein Luftschutzbunker errichtet, in dem von 1941 bis 1945 Hunderte Deutsche Schutz suchten, und schließlich wurde der Bunker als Stadtspeicher verwendet. Dass sich heute in diesem Bunker das „Aktive Museum Südwestfalen“ zum Gedenken an die jüdische Geschichte Siegens befndet, ist so etwas wie ein kleines Wunder – ein Wunder, das Klaus Dietermanns Gespür für Geschichtsvermittlung zu verdanken ist.

Dietermann wurde im 100 km nördlich von Frankfurt/Main und im Osten Kölns gelegenen Siegen geboren und wuchs dort auf. Vor zehn Jahren lehnte er das Bundesverdienstkreuz, die höchste deutsche Auszeichnung, vor dem Hintergrund seiner Überzeugung ab, „dass man in Deutschland nicht das Recht, sondern die Pficht hat wiedergutzumachen, was die Generation unserer Eltern und Großeltern getan hat.“

Diese Art von Beharrlichkeit ließ ihn auch vier Jahre lang für die Umwandlung des Bunkers in ein Museum kämpfen, obwohl die örtlichen Behörden ihn drängten, das Projekt in einem der 11 anderen Bunker in der Stadt anzusiedeln.

„Nein, es muss dieser sein“, sagte er ihnen. Heute, bestätigt durch die wachsende Popularität und den Erfolg des Museums, kann er diese Entscheidung mit seinen Unterstützern feiern.„Als Lehrer sucht man nach Wegen zur Wissensvermittlung, und das Synagogenmuseum ist zu einem solchen Weg geworden.“

Dietermann begann sich mit der jüdischen Geschichte zu beschäftigen, nachdem er während seines Pädagogik-Studiums auf Walter Thiemanns Buch „Von den Juden im Siegerland“ gestoßen war. Er war fasziniert, als er erfuhr, dass früher sehr viele jüdische Händler in seiner Region gelebt hatten. Dietermann verfolgte das Thema und schrieb seine Arbeit zur 1. Staatsprüfung unter dem Titel „Untersuchungen zur Geschichte der Juden des Siegerlandes zur Zeit des Nationalsozialismus“. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen wusste so wenig über das jüdische Leben während der NS-Zeit“, so Dietermann, „und mein Interesse an dieser Geschichte ließ niemals nach. Ich recherchierte und recherchierte zur jüdischen Vergangenheit, die mich einfach faszinierte – [insbesondere,] dass so viele Menschen erklärten, sie hätten nichts getan.“

Der heute 59-jährige Dietermann wurde 1974 in den Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland e.V. gewählt. Er verfasste Aufsätze, Artikel, Unterrichtsmaterialien und ein Dutzend Broschüren zu verschiedensten Facetten der regionalen jüdischen Geschichte, von der Familienbiographie bis hin zur Geschichte von Synagogen und Friedhöfen. Besondere Popularität erlangte das Werk „Jüdisches Leben in Stadt und Land Siegen“. Er berichtete jedoch auch fundiert über das Ausmaß der Zerstörung durch die Nationalsozialisten, und sein Stadtführer „Siegen: eine Stadt unterm Hakenkreuz“ wurde in 4 Aufagen 12.000 Mal verkauft.

Dietermann schrieb nach eigenen Aussagen stets „mit Blick auf die Schüler“ und sah seine Hauptaufgabe darin, kurze Werke zu verfassen, die nicht teuer und leicht zu lesen sind. Er wollte „den Menschen die regionale Geschichte in unkomplizierten, einfach geschriebenen Texten näherbringen, die jeder versteht.“

Dietermanns Kommunikationsfähigkeit ging jedoch weit über das Schreiben hinaus. 1983 – genau 50 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten – brachte Dietermann seinen Stadtführer heraus und initiierte eine „alternative Stadtrundfahrt“ durch Siegen, bei der „wir nicht die ,guten‘, touristischen Seiten der Stadt zeigen, sondern die Stätten des Nationalsozialismus, des Widerstands und des heutigen Gedenkens.“ Inzwischen hat er mehr als 200 Busfahrten zur jüdischen Geschichte in der Region begleitet.

1992, im Rahmen der Organisation einer Ausstellung im Bunker am Standort der ehemaligen Synagoge zum Jahrestag der Reichspogromnacht, kam Dietermann schließlich die Idee, das leer stehende Gebäude als Museum zu nutzen. Zusammen mit anderen Interessierten gründete er den Förderverein „Aktives Museum Südwestfalen e.V.“ und machte es sich zur Aufgabe, diesen Traum zu verwirklichen. Es dauerte vier Jahre, bis nach häufg schwierigen Verhandlungen mit Behörden und dem Eigentümer endlich ein Teil des Gebäudes für das Museum zur Verfügung gestellt wurde. 

Inzwischen, mit ungefähr 3.000 bis 4.000 Besuchern im Jahr, darunter 60 bis 70 Schulklassen und zahlreiche Kirchengruppen, ist sogar die Erweiterung um eine weitere Etage bis 2010 geplant. (Scherzhaft fügt Dietermann hinzu: „Wenn wir eine dritte Etage eröffnen, gehe ich in den Ruhestand.“) Heute dokumentiert das Museum neben der Judenverfolgung in der NS-Zeit auch das Schicksal von Sinti und Roma, Kommunisten, behinderten Menschen, Zeugen Jehovas und anderen.

Das Wort „Aktiv“ im Namen des Museums steht dafür, dass „wir Führungen und besondere Veranstaltungen für Kinder anbieten“, so Dietermann. „Wir sind nicht nur ein Museum, sondern gehen auch gezielt auf das ein, wofür sich die Menschen besonders interessieren.“

Die jüdische Gemeinde in der Region um Siegen entstand erst ab 1817, nachdem der preußische König das Gesetz gegen die Niederlassung von Juden aufgehoben hatte. Ein halbes Jahrhundert später brachte eine neue Zugverbindung von Köln Scharen von jüdischen Geschäftsleuten und Händlern in die Stadt. Ende der 1930er Jahre war die jüdische Bevölkerung jedoch auf 200 Menschen geschrumpft, von denen 100 ermordet wurden.

„Wir müssen über diese Vergangenheit sprechen, damit niemals wieder etwas Derartiges geschehen kann“, erklärt Dietermann, der 35 Jahre lang deutsche Geschichte gelehrt hat und jetzt auf der Suche nach jungen Menschen ist, die die ältere Generation mit „neuen Ideen“ ersetzen und die Arbeit für das Gedenken an die jüdische Geschichte fortsetzen. „Einige Menschen sind zu dieser Arbeit berufen“, merkt er an, „aber nicht jeder ist dafür geschaffen.“

Auf Reisen in Siegens Partnerstadt Emek Hefer in Israel traf Dietermann auf ehemalige Siegener Mitbürger, die die Stadt vor dem Krieg verlassen hatten. Dietermann, Sohn eines Wehrmachtssoldaten, wollte seinen Vater nie fragen, was er in der NS-Zeit getan hatte, ist jedoch fest davon überzeugt, „dass jeder etwas tun muss“, für die Wiedergutmachung und für die Aussöhnung mit der Vergangenheit. In seinem Fall geschieht dies durch die wachsenden Bande mit Juden in der Ferne und durch Besuche von israelischen Nachfahren, die die Stadt ihrer Vorväter kennen lernen wollen. 

„Die Menschen sind so bequem und träge, dass sie gerne abwarten, und das ist ein Problem. Wir müssen auch etwas für unsere Demokratie tun und dürfen die Dinge nicht einfach laufen lassen“, erklärt er. „Wir dürfen nicht einfach warten.“

 
 

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