Obermayer German Jewish History Award

Johann Fleischmann

Mühlhausen, Bayern

Johann Fleischmann liebt seine fränkische Heimat - das kleine Dorf Mühlhausen, in dem der 53-jährige Ingenieur ein respektiertes Mitglied der Gemeinde ist. Dass früher fast ein Drittel der Dorfbevölkerung aus jüdischen Bürgern bestand, heimatverbunden und geachtet wie er selbst, wusste er schon länger. "Mein Vater hat mir oft Geschichten von seinen jüdischen Freunden vor dem Krieg erzählt", sagt Fleischmann. Wie eng das Verhältnis der jüdischen und christlichen Nachbarn einst war, begriff er, als er etwas tiefer in die Heimatgeschichte vordrang. "Um das Jahr 1819 herum heiratete die Tochter eines meiner Vorfahren einen Juden", sagt er. "Sie erwartete ein Kind von ihm und er ließ sich taufen, um sie ehelichen zu können."

Es sind diese Geschichten eines einst alltäglichen Miteinanders in den fränkischen Dörfern des Steigerwalds, die Johann Fleischmann seit über zwanzig Jahren erforscht. Er schreibt darüber in Büchern und in Lokalzeitungen und erzählt davon bei Führungen und in Schulen. Außerdem hat er Grabsteine auf den acht jüdischen Friedhöfen der Region dokumentiert. "Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht, die Vergangenheit wach zu halten", sagt er. "Vielleicht kann ich in ein paar Köpfen die Idee einpflanzen, dass wir mit dem Judentum etwas Wertvolles verloren haben."

Fleischmann, der während seiner zwölfjährigen Dienstzeit bei der Bundeswehr unter anderem für die Geschichtsausbildung der Rekruten verantwortlich war, interessierte sich schon immer für die Vergangenheit. Die Anekdoten seines Vaters wurden mit zunehmendem Alter immer ergreifender. Fleischmann begann, den Recorder anzustellen und sie aufzunehmen. Bald interviewte er auch andere ältere Dorfbewohner und fing an, in Archiven zu recherchieren. Sogar in New Yorker Aktenbeständen suchte er nach Informationen über die deutsch-jüdische Geschichte der Region. "In den ersten Jahren arbeitete ich im Stillen und saugte einfach alles auf", erinnert er sich.

Doch Anfang der Neunziger begann er sein Wissen zu teilen und machte Führungen auf dem Jüdischen Friedhof. Sein erstes Buch veröffentlichte er 1994 über die Geschichte des Mühlhausener Kindergartens, den die Gemeinde zwei ausgewanderten jüdischen Brüdern verdankt. In den USA zu Geld gekommen, hatten sie die heute noch genutzte Einrichtung in den 1920er Jahren gestiftet. 

Zwei Jahre später rief Fleischmann den Arbeitskreis "Jüdische Landgemeinden an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach" mit ins Leben - ein offener Kreis von geschichtsinteressierten Bürgern, die sich der Erforschung der deutsch-jüdischen Vergangenheit in der Region widmen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen Sie in Fleischmanns Buchreihe "Mesusa". Zu den Sammelbänden steuert er nicht nur selbst die meisten Artikel bei, er druckt sie auch auf eigene Kosten und hat sie sogar gratis an Juden versandt, die nach ihren Wurzeln suchten. "Fleischmann ist die treibende Kraft des Arbeitskreises", sagt der Lokaljournalist Rainer Groh. "Man kann gar nicht hoch genug bewerten, was er für die Wiederentdeckung jüdischer Geschichte und Kultur leistet."

Für Fleischmann, der als Mensch mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn beschrieben wird, hat sein Engagement auch eine politische Dimension. Anfang der neunziger Jahre setzte er sich erfolgreich für ein Denkmal zur Erinnerung an die 21 deportierten Mühlhausener Juden ein. Mit anderen Mitstreitern machte er sich im nahe gelegenen Adelsdorf für die Umbenennung einer Straße stark. "Sie trug den Namen eines Schuldirektors. Frühe jüdische Einwohner hatten uns bei einem Besuch erzählt, wie er während der Nazizeit jüdische Schüler schikaniert und an den Pranger gestellt hat", erklärt er.

Inzwischen ist Fleischmann auch jenseits der Grenzen seiner Gemeinde hoch geschätzt. Sein Netzwerk mit Juden, deren Vorfahren aus seiner Heimat stammen, umspannt die ganze Welt. Periodisch verschickt er Newsletter an 150 Kontakte. Viele, die ihn um Informationen bitten, schätzen seine Großzügigkeit. "Johann wendet jeden Stein bei seiner Archivarbeit und beim Aufspüren möglicher Quellen für seine Forschungen", sagt Martha Lev-Zion aus Israel. "Es braucht schon sehr viel Hingabe, wenn jemand so viel Zeit, Energie und Geld wie er auf die Suche nach Informationen verwendet, nur um sie anderen weitergeben zu können."

Zurzeit sorgt er sich um die Situation der früheren Synagoge Mühlhausens, die als Lagerraum dient. "Ich sehe es als mein Pflicht an, dass das Gebäude einmal eine angemessene Nutzung erhält", sagt er. Fleischmann kann sich beispielsweise ein Kulturzentrum für die Gemeinde vorstellen. Doch ein solches Projekt ist bei den derzeitigen Eigentumsverhältnissen nicht aktuell. Während er die Entwicklung im Auge behält, treibt er seine Forschung weiter voran. "Nichts ist heute wichtiger, als die Menschen aufzuspüren, die noch ihre Erinnerungen weitergeben können", erklärt Johann Fleischmann. "Sonst kommen irgendwann vielleicht ein paar Rechte und sagen: 'Das war alles ganz anders.'"

 
 

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