Obermayer German Jewish History Award

Heinrich Nuhn

Rotenburg an der Fulda, Hessen

Vom Keller bis unter das Dach stapeln sich bei Dr. Heinrich Nuhn die Akten und Dokumente zur jüdischen Geschichte des hessischen Rotenburg. In seiner Garage summen die drei Computer eines Multi-Media-Netzwerks. Sein Haus ist heute Archiv und Herberge für jüdische Besucher und statt in den Urlaub reist der Pensionär zu Konferenzen. Die Erinnerung an die jüdische Geschichte der Stadt wach zu halten, ist die Hauptaufgabe in seinem Leben geworden. “Es klingt zwar immer etwas anmaßend, aber es ist eine Art Wiedergutmachung”, sagt der 66-Jährige über seine Motivation, “wenn man das Unrecht mit beiden Händen greifen kann, dann sollte man es auch tun.”

Schon als Kind war Nuhn von Geschichte fasziniert. Nach seinem Studium wurde er zunächst Lehrer. Doch als seine Kinder älter und unabhängiger wurden, wandte er sich wieder seiner Leidenschaft zu. In den achtziger Jahren beschäftigte er sich in seiner Doktorarbeit theoretisch mit Antisemitismus. Mit der Forschung zu konkreten Schicksalen in der Region fing er an, als eine Ausstellung von Schülern Stimmen provozierte, die die Nazizeit in Rotenburg beschönigten. “Der Wissenschaftler in mir fühlte sich herausgefordert”, erinnert er sich. “Wer, wenn nicht ich, sollte das widerlegen.” Nuhn recherchierte zwei Jahre in Archiven und befragte Einwohner. Mit einer Ausstellung im Jahr 1993 brachte er fundierte Argumente gegen den Mythos eines von Nazi-Verbrechen verschonten Rotenburg vor.

An seiner Schule gründete er die AG Spurensuche, die die jüdische Vergangenheit der Stadt erforscht. Die Arbeitsgemeinschaft veröffentlicht nicht nur professionell gestaltete CD-Roms und Bücher, darunter eine Geschichte der Juden des Ortes Rhina in Form eines fiktiven Tagebuchs. Im Lauf der Jahre entstanden ein virtueller Stadtrundgang, ein umfangreiches zweisprachiges Internetangebot zur jüdischen Geschichte sowie ein Museum und Geschichtskabinett in der Schule. “Er hat seine Schüler für die Beschäftigung mit Rotenburgs Vergangenheit begeistert – hunderte über die Jahre”, sagt Roland Jost, stellvertretender Direktor der Schule, an der der Lehrer für Englisch und Deutsch bis vor gut einem Jahr unterrichtete.

Doch Heinrich Nuhn wollte seine Aktivitäten nie nur auf die Schule beschränken. “Viele Leute denken: ‘Was dort passiert, das ist nur für Schüler, das hat nichts mit mir zu tun’”, sagt er. Er organisiert Veranstaltungen, macht Führungen und lädt Zeitzeugen ein, ihre Geschichte zu erzählen. Er fand nicht nur heraus, in welchem Haus sich einst die Rotenburger Mikwe befand. Nach seinen Forschungen und Veröffentlichungen zu dem jüdischen Ritualbad wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Mit einem Dutzend Schülern, Lehrern und anderen Einwohnern versuchte er das Haus zu kaufen, um es erhalten zu können. Aufgrund ihrer Bemühungen erwarb schließlich die Stadt im Jahr 2000 das Gebäude und lässt es restaurieren. Nach Abschluss der Arbeiten soll es ein Museum und Kultur- und Begegnungszentrum werden.

Auch nach seiner offiziellen Verabschiedung als Lehrer vor gut einem Jahr führt Nuhn die AG
Spurensuche weiter. Mehr als halbes Dutzend Preise hat das Projekt gewonnen. Er selbst wurde mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

“Nuhn ist kein Missionar, der sich für erleuchtet hält”, sagt Alan Ehrlich, dessen Vorfahren in Rotenburg lebten. “Er hat seine intellektuellen Fähigkeiten und sein Wissen dafür eingesetzt, die Erinnerung an die Jüdische Geschichte wach zu halten.” Ellen Stepak aus Israel traf ihn, als sie nach Informationen über ihre Vorfahren suchte. Seinen Sinn für Humor, sein ausdauerndes Engagement und seine Entschlossenheit zählt sie zu seinen “vielen wunderbaren Eigenschaften” Chris und Maggie Linz lernten Nuhn vor einigen Jahren auf einer Reise nach Rotenburg kennen. Chris Linz’ Mutter war Christin und er wurde auch christlich erzogen, doch er wollte mehr über die jüdischen Wurzeln seines Vaters erfahren. Angeregt durch die Informationen, die Nuhn ihnen gab, begannen beide sich intensiver mit der Familiengeschichte und dem Judentum auseinander zu setzen und konvertierten schließlich zum jüdischen Glauben.

Durch Heinrich Nuhns Engagement ist Rotenburgs jüdische Vergangenheit heute gut bekannt und weit gehend akzeptiert in der Stadt. Der Förderkreis ehemaliges Ritualbad, den er 2002 gründete und seitdem vorsteht, hat rund 70 Mitglieder. Darunter ist der Bürgermeister ebenso wie der örtliche Bundestagsabgeordnete. Voraussichtlich im Jahr 2006 soll die Restaurierung der Mikwe abgeschlossen und ein weiteres Museum mit Exponaten aus der Schulausstellung in dem Gebäude eröffnet werden. “Dieser Ort im Zentrum Rotenburgs, immer sichtbar, ist sehr wichtig”, sagt Heinrich Nuhn. “So wird die Geschichte der Juden einen zentralen Platz im Bewusstsein der Menschen behalten – als ein Beispiel, was mit Minderheiten geschehen kann.”

 
 

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