Obermayer German Jewish History Award
Heinrich Dittmar
Alsfeld, Hessen
Heinrich Dittmar begann Fragen zu stellen, als Fragen stellen noch tabu war. Zumindest war es das im Alsfeld der frühen Siebziger, einer Kleinstadt in Hessen, in der früher Juden lebten. “Ich löcherte die Leute: ‘Hier waren jede Menge Juden - Wo sind die hin?’”, erinnert sich der 68-Jährige. “Die sagten nur: ’Darüber will ich nicht sprechen.’”
Aber Dittmar sprach darüber. Stück für Stück sammelte er Material. Drei Jahrzehnte lang fügte er die Mosaiksteine der Geschichte einer Partnerschaft zwischen Juden und anderen Hessen wieder zusammen, die einst über Generationen hinweg existierte. Als Kommunalpolitiker setzte er sich für Instandsetzung und Erhalt der 16 Friedhöfe im Landkreis ein, im Vorstand des Alsfelder Museums für eine Ausstellung seines Materials.
Heute sei er eine „zentrale Figur“ für die jüdische Geschichte der Region Vogelsberg, sagt der Journalist Joachim Legatis, der von Dittmar zur Aufarbeitung jüdischer Lokalgeschichte inspiriert wurde. Dittmar, der als Sonderschullehrer arbeitete, macht Führungen und Vorträge für Schulklassen. Jährlich verantwortet er eine Gedenkfeier zur „Reichskristallnacht“. Außerdem veröffentlicht er Bücher und Artikel in Lokalzeitungen und hält den Kontakt mit Überlebenden. Ob Geschichte, seine Kirchengemeinde, Fußballklubs oder Lokalpolitik – Heinrich Dittmar geht immer mit der gleichen Energie zu Werke. „Wenn er auf Leute zugeht, mit ihnen sprechen kann, wie in seinen Führungen oder wenn er Sachen organisieren kann, dann ist er vollkommen in seinem Element“, sagt seine Tochter Christiane Sattler.
Vor ungefähr 25 Jahren fand Dittmar einen Stapel staubiger Karteikarten in einer Ecke des Stadtarchivs. „Das waren die Juden von Alsfeld“, sagt er. „Man hatte sie von den anderen aussortiert.“ Das von ihm recherchierte und zum Teil geschriebene Buch „Die Geschichte der Juden von Alsfeld“ beschreibt, wie eng das deutsch-jüdische Verhältnis seit dem 17. Jahrhundert in der Region war. (Sogar in den Totenbräuchen hatten sich beide Volksgruppen wechselseitig beeinflusst.) Das Werk wollte er allen Überlebenden schicken, deren Adresse er
herausgefunden hatte – in welchem Teil der Erde sie auch lebten. Die Stadt zeigte sich zögerlich, also bezahlte er den Versand aus eigener Tasche. „Meine Arbeit ist den Menschen gewidmet, die nie einen Grabstein bekommen haben“, sagt er.
Auch Arthur Strauß, der in Alsfeld geboren wurde, aber in den Dreißigern nach Südafrika emigrieren musste, erfuhr schließlich von Dittmars Arbeit. Nach dem Krieg ging Strauß nach Frankfurt. Dittmars Engagement hätte ihn motiviert, an den Ort zurückzukehren, an dem seine Großeltern beerdigt sind. „Ohne ihn hätte es für mich keinen Anlass gegeben, wieder Verbindung nach Alsfeld aufzunehmen“, sagt Arthur Strauß. Durch ihn habe er wieder einen Kontakt zu seiner Cousine, zu Jugendfreunden und Schulkameraden erhalten. Am Anfang sei sein Interesse an der deutsch-jüdischen Vergangenheit einfach von Neugierde inspiriert gewesen, sagt Dittmar. Genauso wie er zuvor gemeinsame Familienurlaube genutzt hatte, um Gedenkstätten zu besuchen oder für Freunde Nachforschungen auf Friedhöfen anzustellen. Aber bald wurde die Motivation stärker. „Als ich die Dankbarkeit und Freude der Menschen spürte, denen ich etwas über ihre Familie erzählen konnte“, sagt er, „hat mir das unheimlich Spaß gemacht.“
Der Spaß an der Arbeit erhielt allerdings immer wieder Dämpfer. Offene Feindseligkeit sei zwar selten gewesen. Aber Dittmar erinnert sich noch gut an die Zeit, als die Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Geschichte an jeder Ecke auf Widerstand stieß. „Einmal kam ich in ein Gemeindearchiv“, erinnert er sich, „Als ich sagte, es geht um Juden, war plötzlich der Schlüssel nicht mehr da.“ Aber solche Probleme hielten ihn nicht ab. Manchmal braucht es Geduld, das hat Dittmar in fast 30 Jahren an der Sonderschule gelernt.
Die Spurensuche in der Vergangenheit geht deshalb weiter. Für sein letztes Projekt befragte er einen früheren Alsfelder Juden zu seinen Kindheitserinnerungen. Jetzt will Dittmar andere Bürger interviewen und auf einem Video die unterschiedlichen Aussagen einander gegenüberstellen. „Er kann nicht rasten“, sagt seine Tochter. „Sein Gehirn braucht ständig neue Nahrung.“
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