Obermayer German Jewish History Award

Gunter Demnig

Köln, Nordrhein–Westfalen

Gunter Demnig lässt erst die Augen stolpern, dann die Gedanken. Obwohl die “Stolpersteine” des Kölner Künstlers sauber in den Gehweg eingelassen sind, halten Passanten an und lesen. “Hier wohnte”, beginnt die in Messing geprägte Inschrift auf den Betonquadern von zehn Zentimetern Kantenlänge. Kaum mehr als eine Name, sowie Datum und Ort des Todes eines von den Nationalsozialisten ermordeten Menschen folgen. Doch die nüchternen Daten dieses Schicksal, eines von sechs Millionen, lösen Fragen aus.

“So werden die Stolpersteine zu Mahnern und Sprechern und Rufern. Sie rufen: Jeder Mensch hat einen Namen”, sagt Miriam Gillis-Carlebach, Tochter des letzten Hamburger Oberrabbiners, die für ihre deportierten Familienmitglieder Steine setzen ließ. In über 60 Städten und Gemeinden in ganz Deutschland hat Gunter Demnig seine Stolpersteine verlegt, über 4.500 bisher. Was 1993 begann, wird so etwas wie das größte dezentrale Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus. “Es ist für alle Opfer”, sagt der 57-Jährige, “für Juden, Roma und Sinti genau so wie für Homosexuelle und Widerstandskämpfer.” Und es ist ein Denkmal von “unten”, an dessen Bau viele lokale Initiativen beteiligt sind.

Nicht nur Verwandte und Nachkommen von Opfern fragen Demnig nach einem Stein. Häufig übernehmen Privatpersonen, Schulen oder Hausgemeinschaften die Initiative, recherchieren Namen und beantragen Genehmigungen. Am Berliner Max-Planck-Gymnasium unternahmen Schüler eine intensive Recherche, um mehr über die Menschen zu erfahren, für die Steine verlegt wurden. Sie gingen in Archive, berieten sich mit einem Historiker, interviewten Zeitzeugen und begannen in ihren Familien zu fragen. “Hinter den trockenen Fakten stehen zahlreiche Schicksale und Tragödien, die einem sehr nahe gehen können und die Geschichte lebendig machen”, erklärt Lehrer Christoph Hummel. Doch manchmal werden die Betonquader zu Steinen des Anstoßes. Einige Städte wie München und Leipzig verboten das Verlegen, auch einige Hausbesitzer versuchten es schon zu verhindern. Doch das konnte das Projekt nicht aufhalten. “Es ist wie eine Lawine, jeden Tag bekommen wir Anfragen”, sagt Demnigs Lebensgefährtin Uta Franke. Sie hat inzwischen Koordinierung und Dokumentation des Projekts übernommen. “In vielen Orten reicht schon die Idee für einen Stolperstein, um eine Diskussion über die Zeit des Nationalsozialismus in Gang zu bringen.”

Der in Berlin geborene Demnig hat als politischer Künstler schon vor dem Stolperstein-Projekt öffentliches Interesse erregt. 1990 zeichnete er in Köln mit Kreide den Weg nach, den Roma und Sinti bei ihrer Deportation nehmen mussten. Als er die Markierung drei Jahre später mit Messingplatten erneuerte, war es das Gespräch mit einer älteren Frau, das die Idee zu den Stolpersteinen anregte. “Bei uns gab es doch keine Zigeuner”, behauptete sie. “Sie wusste einfach nicht, dass sie ihre Nachbarn waren”, erinnert sich Demnig. “Das wollte ich ändern.”

Mit den Steinen will er die Namen der Opfer zurück an die Orte bringen, wo die Menschen lebten. Für ihn haben die bestehenden zentralen Gedenkstätten dabei versagt. “Wer sieht das denn? Einmal im Jahr wird ein Kranz von Honoratioren dort abgelegt, aber andere können die Mahnmale einfach umgehen”, sagt er. Doch die Verwirklichung seiner Idee war zunächst mühsam. Hartnäckig musste er die Stolpersteine wegräumen, die ihm Amtsträger und Bürokratie in den Weg rollten. “Du musst einfach was tun, dann geht mehr als du denkst”, erklärt er seine Einstellung, die ihn trotzdem weitermachen ließ.

Heute ist der Künstler nur noch selten in seinem Kölner Atelier, wo er zwischen noch zu bearbeitenden Steinen und anderen Kunstwerken lebt und arbeitet. Um Steine zu verlegen und Vorträge über das Projekt zu halten, ist er viel unterwegs. Die Amerikanerin Johanna J. Neumann ließ für ihre Stiefgroßmutter einen Stein setzen. “Bevor der Stolperstein für sie verlegt wurde, gab es keinen Ort, der irgendjemand an sie erinnert hat”, sagt sie. “Jetzt, wenn ich nach Berlin komme, weiß ich, wo ich hingehen und ihren Namen sehen kann.”

Bis Winter reicht die Warteliste inzwischen schon und auch in anderen europäischen Städten sollen Stolpersteine verlegt werden. Gunter Demnig fragt sich deshalb, ob und wie ihm andere helfen könnten, zumindest beim Verlegen. Die Herstellung möchte der Künstler allein weitermachen. “Es soll keine Fabrik werden”, sagt Demnig, dem auch heute noch häufig die Tränen in die Augen treten, wenn er von Schicksalen spricht, von denen er durch seine Arbeit erfährt. “Ich weiß, dass ich nicht sechs Millionen Steine schaffen werde”, sagt er, “aber wenn ich eine Diskussion mit nur einem anstoßen kann, dann ist schon viel erreicht.”

 
 

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