Obermayer German Jewish History Award
Charlotte Mayenberger
Bad Buchau, Baden-Württemberg
Bei ihrer Arbeit als Fremdenführerin in ihrer Heimatstadt Bad Buchau wurde Charlotte Mayenberger von jüdischen Besuchern aus dem Ausland immer wieder gefragt: "Wissen Sie, ob es die Grabsteine unserer Vorfahren noch gibt - und kennen Sie jemanden, der uns sagen könnte, wo wir sie finden?"
"Das hat mich dazu veranlasst, der Frage nachzugehen", so Mayenberger. 1990 begann sie damit, alle 827 Grabsteine des kurz zuvor wiedereröffneten Jüdischen Friedhofs zu fotografieren und Informationen über die dort begrabenen Menschen zu sammeln. Zwei Jahre später wurden die Fotos in einer Ausstellung präsentiert, und unter dem Titel "Der Jüdische Friedhof Bad Buchau" erschien bald danach eine CD mit einem vollständigen Katalog, der Grab für Grab die Symbole und die historischen - teilweise durch Vandalismus beschädigten - Inschriften erklärt. Auf diese Weise half Charlotte Mayenberger Dutzenden von Menschen, ihre verstorbenen Familienmitglieder wiederzufinden und erstmals etwas über sie zu erfahren.
"Ich habe es einfach gemacht, weil niemand sonst es bis dahin gemacht hatte", sagt sie. Die jüdische Geschichte der 4.000-Einwohner-Stadt in Baden-Württemberg reicht über 600 Jahre zurück und ist keine ganz gewöhnliche: So stammten Albert Einsteins Eltern von hier, ebenso wie die Eltern des Physiologen Joseph Erlanger, der 1944 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde. Die Stadt war nicht nur ein blühendes Zentrum der jüdischen Industrie und Sitz des Distriktrabbinats, sondern verfügte über eine der weltweit nur zwei oder drei Synagogen mit einer Glocke - ein Geschenk aus dem 19. Jahrhundert vom philosemitischen König Wilhelm I. Nach Meinung von Theodore Einstein, einem entfernten Cousin von Albert Einstein, der in Silver Spring, USA, lebt, hat Charlotte Mayenbergers "persönliche Energie und erfolgreiche Vernetzung die Erinnerung an diese Gemeinde wieder wachgerufen."
Mayenberger hat zahlreiche Artikel, Broschüren und Bücher geschrieben. Sie hält Vorträge, produziert Videos und organisiert Ausstellungen zu Bad Buchaus jüdischer Geschichte und bezeichnet sich selbst als "Lehrerin, die nie studiert hat". Mayenberger, heute 51, machte nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung, heiratete mit 20 Jahren und bekam drei Kinder. Alles, was sie über die jüdische Kultur und Tradition weiß, hat sie sich durch "investigatives Lesen" selbst angeeignet. Ihre Recherchen begannen in den 1980er Jahren, als sie das Buchauer Stadtarchiv nach Informationen über Moritz Vierfelder durchforstete. Vierfelder war ein ehemaliger Cafébesitzer und Vorsitzer der jüdischen Gemeinde von Buchau, der 1940 in die USA emigrierte und über Jahrzehnte hinweg mit seinem "Buchauer Blättle" den Kontakt unter den jüdischen Emigranten aufrecht erhielt. Mayenberger fand diese Geschichte so faszinierend, dass sie beschloss, ein Buch über ihn zu schreiben: "Moritz Vierfelder: Leben und Schicksal eines Buchauer Juden", das sie im Jahr 2000 herausbrachte.
Zu ihren weiteren Werken gehört die Biographie des Holocaust-Überlebenden Oskar Moos, "Von Buchau nach Theresienstadt: Dr. Oskar Moos (1869-1966)", ihre DVD zur Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte der Familie Einstein (Einstein's Swabian Roots - Einsteins schwäbische Wurzeln) sowie ihre vielleicht beeindruckendste Leistung, die CD "Die Buchauer Synagoge: Eine virtuelle Rekonstruktion", auf der Mayenberger zusammen mit örtlichen Architekturstudenten die berühmte Synagoge der Stadt, die 1839 erbaut und in der Kristallnacht zerstört wurde, graphisch rekonstruiert hat.
"Etwa die Hälfte der 200 Bad Buchauer Juden starb in den Konzentrationslagern", so Mayenberger, und es dauerte viele Jahre, bis die Einwohner bereit waren sich an die jüdische Geschichte der Stadt zu erinnern - und darüber zu reden. Sie selbst war ein Opfer des Schweigens: Mayenberger erinnert sich daran, dass sie als Kind jeden Tag auf dem Weg zur Schule an dem geschlossenen jüdischen Friedhof vorbeiging. "Niemand sprach über den Friedhof oder dachte gar daran, ihn zu betreten. Wir wussten nur, dass es ein jüdischer Friedhof war, mehr nicht."
"Früher waren die Menschen vorsichtig und fragten nicht viel. ,Der Krieg ist vorbei, lassen wir die Dinge ruhen', war die vorherrschende Haltung. Jetzt stellen sie so viele Fragen, und es wird immer noch besser. So viel mehr junge Leute interessieren sich für das Thema."
Mayenberger erinnert sich an eine Führung im vergangenen Jahr, zu der zahlreiche Eltern aus der Region mit ihren Kindern kamen. "So viele Menschen wollten etwas über die jüdische Geschichte der Stadt erfahren. Sie wissen so wenig", erklärt Mayenberger. Ein weiterer Erfolg von Mayenberger ist die Einbindung von Kindern in die szenischen Lesungen, die sie alljährlich zum Jahrestag der Kristallnacht organisiert. Im Gegensatz zu früher freuen sich die Buchauer heute darüber, "eine Verbindung zu den Namen und zur Geschichte herzustellen."
"Charlotte Mayenberger ist das ,inoffizielle Archiv' für Dokumente und Fotos zur ehemaligen jüdischen Gemeinde in Buchau", so Theodore Einstein.
Und sie denkt keineswegs daran, kürzer zu treten. Gerade ist sie mit den Vorbereitungen zu einer Ausstellung im Jahr 2008 beschäftigt. Sie dokumentiert die persönliche Geschichte der 200 Juden, die vor dem Krieg in Bad Buchau lebten und immer noch "keine Biographien haben". Irgendwann einmal würde sie - trotz aller Schwierigkeiten, auf die sie dabei stößt - gerne ein Museum zum jüdischen Erbe von Bad Buchau gründen.
"In der Schule habe ich Lesen, Zuhören und Schreiben gelernt - das ist alles, was ich brauche, um in den Archiven zu recherchieren und mit Menschen zu sprechen", erklärt sie. Mayenbergers eigene Bibliothek umfasst ungefähr 900 Bücher zu jüdischen Themen, und sie ist auch sehr findig bei der Nutzung des Internets, um Informationen zu ihren Forschungsthemen zu sammeln.
Charlotte Mayenberger kam auf indirektem Weg zu dem, was sie heute als ihre Aufgabe begreift. Und das Motiv für die Fortsetzung ihrer Arbeit zur Rettung und Erhaltung der jüdischen Geschichte von Bad Buchau sieht sie ganz klar in der Zukunft:
"Es wäre ein Verlust, wenn sie in Vergessenheit geraten würde - das ist die Motivation für meine Arbeit", erklärt sie. "Und damit nie wieder so etwas passieren kann."
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