Obermayer German Jewish History Award
Bernhard Gelderblom
Hameln, Niedersachsen
1985 betrat der Gymnasiallehrer Bernhard Gelderblom erstmals den Jüdischen Friedhof in seiner Heimatstadt Hameln – eine Entdeckung, die sein Leben verändern sollte. „Der Friedhof war groß und ein vollkommen vergessener, überwucherter Ort, der mich sofort faszinierte“, erinnert er sich. „Und so fing alles an.“
Bald darauf begann Gelderblom mit Recherchen und Dokumentationsarbeiten zu buchstäblich Dutzenden weiterer jüdischer Friedhöfe in der Region südwestlich von Hannover und spürte bislang unbekannte Geschichten aus dem früheren jüdischen Leben auf.
„Ich hielt Vorträge in den Dörfern und traf dabei manchmal auf Menschen, die noch nie über das gesprochen hatten, was im Dritten Reich mit den Juden geschah“, erklärt Gelderblom. „Erst jetzt begannen sie darüber zu reden, über ihre Väter und Großväter. Es war mir sehr wichtig, kleine Gemeinschaften mit ihrer Geschichte zu konfrontieren.“
Das ist etwas, was Gelderblom in seiner eigenen Familie niemals gelang. Er wurde 1943 an der Weichselstadt Schwetz im heutigen Polen geboren, als Sohn eines NS-Soldaten, dessen Aufgabe die „Germanisierung“ der polnischen Gebiete war. „Es war nie möglich mit meinem Vater über das Dritte Reich zu sprechen und über das, was er getan hatte, nicht einmal im Alter und kurz vor seinem Tod“, so Gelderblom.
Gelderblom ist das jüngste von drei Geschwistern. Als die russischen Soldaten nach Schwetz kamen, floh er mit seiner Mutter nach Magdeburg und wuchs nach mehreren Ortswechseln schließlich in der kleinen westfälischen Stadt Herford auf. Von 1964 bis 1970 studierte er evangelische Theologie in Münster, Wien, Bonn und Göttingen. Nach dem Diplomabschluss wandte er sich jedoch dem Studium der Geschichte und Politik zu und unterrichtete diese Fächer ab 1976 an einem Hamelner Gymnasium. Gelderblom ist verheiratet und hat drei Kinder.
Neben der Veröffentlichung zahlreicher Zeitungsartikel hat Gelderblom auch acht Bücher geschrieben. Erwähnt seien hier „Der jüdische Friedhof Hameln“ (1988) und „Sie waren Bürger der Stadt: Die Geschichte der jüdischen Einwohner Hamelns im Dritten Reich“ (1997). Für diese Arbeit ließ er sich ein Jahr vom Schuldienst freistellen.
In den gut 20 Jahren, seit er zum ersten Mal den jüdischen Friedhof seiner Stadt betrat, ist es ihm zur moralischen Verpflichtung geworden, die Wahrheit über die Zeit des Nationalsozialismus zu erzählen. „Man muss auch über das reden, was hier in Hameln passiert ist, nicht nur über die Vorgänge in Berlin und anderswo“, so Gelderblom.
„Von deutschen Schülern hört man gelegentlich: ,Wir müssen uns zu oft mit diesem Thema befassen‘, und manchmal denke ich, sie könnten Recht haben. Es geht nicht darum, die Schüler möglichst häufig mit dem Thema zu beschäftigen“, fügt er hinzu, „sondern darum, es richtig zu machen. Mein Ansatz war, die Schüler mit den Geschichten, echter‘ Menschen zu konfrontieren, mit tatsächlichen historischen Plätzen, die sie sich vorstellen können [um nachzufühlen, wie es war]. Zahlen wie ,sechs Millionen‘ sind nicht so wichtig, weil sie keine konkrete Vorstellung wecken. Ich konfrontierte sie stattdessen mit einer Familie und der Geschichte dieser einen Familie.“
Gelderblom, der 2006 nach 30 Jahren im Schuldienst in den Ruhestand ging, sah sich in seiner Stadt, die vor allem für das Grimm’sche Märchen „Der Rattenfänger von Hameln“ bekannt ist, einer ausgeprägten Haltung der Vergangenheitsverdrängung gegenüber. „Es herrschte eine Atmosphäre der Ignoranz und Gleichgültigkeit“, erinnert er sich. „Die Menschen dachten, ,Wir haben doch diese Geschichte und müssen uns nicht mit unserer [wahren] Geschichte beschäftigen‘.
Gelderblom unterrichtete jedoch nicht nur an seiner Schule, sondern reiste auch durch die Lande, hielt Vorträge und organisierte, um seine Neugier und Erkenntnisse zur lokalen jüdischen Geschichte in ganz Niedersachsen zu vermitteln. Die 3000-Einwohner-Stadt Duingen zum Beispiel „hatte einen völlig zerstörten [jüdischen] Friedhof“, berichtet er. „Das war ein furchtbarer Ort, an dem die Grabsteine mit Äxten und Hämmern stark beschädigt worden waren. Es gelang mir eine Gruppe von Dorfbewohnern für die Restaurierung des Friedhofes zu gewinnen. Sie brachten ihre Arbeitskraft und Geld ein, um eine neue Friedhofsmauer zu errichten und die Grabsteine wieder herzustellen“, so Gelderblom. Im Oktober 2008 konnte man schließlich die Wiedereröffnung feiern.
„Für mich zählt es zu meinen größten Erfolgen, dazu beigetragen zu haben, dass eine kleine Dorfgemeinschaft diese Arbeiten selbst übernahm.“
Gelderblom war Mitglied und 14 Jahre lang Geschäftsführer der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hameln e.V. In dieser Zeit arbeitete er unter anderem mit am „Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945“ vom Bundesarchiv in Berlin. Das nach außen sichtbarste Zeichen seiner Arbeit sind vielleicht die fünf großen, bronzefarbenen Gedenktafeln am ehemaligen Standort der Hamelner Synagoge, die in der Reichspogromnacht niedergebrannt wurde. Die Tafeln zeigen die Namen und Deportationsdaten der 101 Juden, die während des Krieges deportiert wurden. In den frühen 1990er Jahren leistete Gelderblom einen Beitrag zur kollektiven Erinnerung der Region, indem er eine Anne-Frank-Ausstellung nach Hameln holte. In der Folge erhielt er Drohbriefe, anonyme Anrufe und sogar eine Bombendrohung von einer rechtsradikalen Gruppe, die seine Arbeit ablehnte.
Viel größer ist jedoch die Zahl der Menschen, die Gelderblom in seiner Arbeit unterstützen. Und mit seinen zwei Websites – www.juedische-geschichte-hameln.de und www.gelderblom-hameln.de – macht er seine jahrzehntelangen Recherchen und Aktivitäten einem weltweiten Publikum zugänglich.
Die in England lebende Barbara Andrusz lobt Gelderbloms „Entschlossenheit, das Gedenken an Menschen wach zu halten, die einst ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft in Hameln waren, die jedoch ohne seinen Einsatz und seine Hartnäckigkeit ganz sicher in Vergessenheit geraten wären.“ Und Veronica Forwood, eine Nachfahrin Hamelner Juden, stellt heraus:
„Er hat akribisch in den Archiven recherchiert, um die Familiengeschichte der Juden in Hameln und umliegenden Dörfern zu rekonstruieren… Ich verdanke es Herrn Gelderbloms sorgfältigen Recherchen, dass ich heute weiß, wo meine Vorfahren begraben sind.“
Vielleicht ist es dieser Sinn für das Persönliche, der Gelderblom so erfolgreich macht, sei es bei der unermüdlichen Suche in Archiven von Hannover bis Israel, seinem Einsatz für die Errichtung eines Grabsteins für den in allen Bevölkerungsschichten hochangesehenen Arzt Siegmund Kratzenstein, der infolge von Misshandlungen in NS-Haft kurz nach der Reichspogromnacht starb, oder wenn es darum geht, den Nachfahren von Hamelner Juden die Stadt und ihre wichtigen Stätten zu zeigen, sein Wissen weiterzugeben und ihnen ihre Vergangenheit zu erklären.
THIS WALL BRINGS PEOPLE TOGETHER
Students at this Berlin elementary school, built on the site of a synagogue, have been building a wall for the past two decades. It delivers a powerful message about community.
STUDENTS REACHING STUDENTS
When a handful of ninth graders from Berlin met Rolf Joseph in 2003, they were inspired by his harrowing tales of surviving the Holocaust. So inspired that they wrote a popular book about his life. Today the Joseph Group helps students educate each other on Jewish history.
“I SPEAK FOR THOSE WHO CANNOT SPEAK”
Margot Friedländer’s autobiography details her struggles as a Jew hiding in Berlin during World War II. Now 96, she speaks powerfully about the events that shaped her life and their relevance today.