Entstehungsgeschichte der Obermayer Awards
Geschichte erinnern, Kultur bewahren, Vorurteile bekämpfen
Das Leben in Deutschland war einst reich an Beiträgen jüdischer Gelehrter, Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen, die eng mit anderen Deutschen zusammenarbeiteten. Musikalische, wissenschaftliche, literarische und architektonische Leistungen brachten häufig die unterschiedlichsten Talente zusammen. Das NS-Regime und die damit einhergehende Auslöschung der deutsch-jüdischen Gemeinschaft beendeten eine lange Periode der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens.
Deutsche Schüler*innen lernen in der Regel etwas über den Holocaust und über Juden als Opfer. Häufig bekommen sie jedoch kein Verständnis dafür vermittelt, dass die deutschen Jüdinnen und Juden bis zu diesem Zeitpunkt ganz selbstverständlich wesentliche Mitglieder der Gesellschaft waren. Dr. Arthur S. Obermayer und seine Frau, Dr. Judith Obermayer, haben die Obermayer Awards ins Leben gerufen, um die vielen Menschen in den Fokus zu rücken, die daran arbeiten, diese eingeschränkte Sichtweise zu verändern.
Als Arthur Obermayer 1997 mit seiner Frau nach Deutschland reiste, um sich auf die Spuren seiner Vorfahren zu begeben und die Familiengeschichte zu erforschen, waren sie sehr überrascht. „In jeder Gemeinde [die wir] besuchten, trafen wir wunderbare, mitfühlende Menschen, die einen wesentlichen Teil ihres Lebens der Erforschung und Bewahrung ihrer jüdischen Lokalgeschichte gewidmet hatten”, erklärte Arthur Obermayer. Die Personen, die diese Arbeit leisteten, waren keine Juden; es waren einfach Menschen, die sich für einen wichtigen Teil der Geschichte und Kultur ihrer Gemeinde interessierten.
2007 wurde Arthur Obermayer das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, die höchste Auszeichnung, die die deutsche Regierung jemandem verleihen kann, der kein deutscher Staatsbürger ist. In seiner Dankesrede sprach er darüber, was ihnen auf dieser ersten Reise begegnet ist.
„In einer kleinen Gemeinde", erinnert er sich, „erhielt ich eine Diskette mit den Namen und vollständigen Informationen über mehr als 90 meiner Verwandten, die im 19. Jahrhundert dort gelebt hatten; man zeigte mir auch ihre Häuser. In einer anderen übergab man mir ein 200-seitiges Buch über die Geschichte der Juden dieses Dorfes…”
„In der Stadt Fürth besuchte ich den alten jüdischen Friedhof, auf dem meine Vorfahren begraben waren und der während der NS-Zeit schwer geschändet worden war. Dort führte mich eine Frau herum, die ihn in jahrelanger mühsamer Arbeit vollständig rekonstruiert hatte. Sie hat auch ein umfassendes Buch zum Gedenken an die Opfer des Holocaust aus Fürth geschrieben, für das sie Geschichten von Freunden und Verwandten sowie Informationen aus dem Archiv zusammentrug.”
„In der Stadt Augsburg erhielt ich eine Kopie des Ehevertrags meiner Urgroßeltern und bekam die Häuser gezeigt, in denen sie und ihre Eltern vor über 200 Jahren gelebt hatten.”
„Später, in der Stadt Creglingen, fand ich heraus, wo meine Vorfahren vor 11 Generationen, also vor fast 400 Jahren, gelebt hatten, dank der Recherchen eines Einwohners anhand von Steuerunterlagen, Grundbüchern und Testamenten. Mit der Hilfe der Gemeinde ist das Haus an diesem Ort heute ein jüdisches Museum.”
Im Austausch mit anderen nach Deutschland gereisten Jüdinnen und Juden, stellten die Obermayers fest, dass sie mit ihren Erlebnissen nicht allein waren. Tatsächlich gab es, und gibt es immer noch, Einzelpersonen und Organisationen in Gemeinden in ganz Deutschland, die kreativ und uneigennützig daran arbeiten, das Bewusstsein für diese einst lebendige deutsch-jüdische Kultur zu stärken. Sie haben unzählige Stunden ehrenamtlicher Arbeit investiert, um Friedhöfe und Synagogen wiederherzustellen, Bildungsprogramme zu entwickeln, Ausstellungen zu konzipieren, Websites und Publikationen zu erstellen oder in Vergessenheit geratene Musik wieder erklingen zu lassen. Meistens arbeiten sie unabhängig voneinander und konzentrieren sich auf ihre eigenen Gemeinden. Aber zusammengenommen fördert ihre Arbeit die generationenübergreifende und interkulturelle Aussöhnung.
Viele von ihnen haben bedeutsame Beziehungen zu ehemaligen Bürger*innen und Nachkommen derer geknüpft, die einst in ihren Gemeinden lebten. Dieser Einsatz für die Nachfahren hat sich als eine starke Form der Versöhnung erwiesen. Was im Großen so schwer zu erreichen ist, haben Preisträger*innen des Obermayer Awards auf lokaler und persönlicher Ebene immer wieder geschafft: Sie haben Brücken in der ganzen Welt gebaut und es gleichzeitig möglich gemacht, neuen Generationen die Lehren der Geschichte zu vermitteln.
Arthur Obermayer, ein vielfältig engagierter amerikanischer Wissenschaftler, Unternehmer und Philanthrop, sowie ein Mann, der großen Wert darauf legte, anderen zu helfen und sie zu ermutigen, war der Meinung, dass diese Arbeit anerkannt werden müsse. Die ersten Obermayer Awards wurden daher im Jahr 2000 im Centrum Judaicum in Berlin verliehen, einem Zentrum des jüdischen Lebens in der Stadt. Seitdem werden sie jedes Jahr im Abgeordnetenhaus, dem Sitz des Berliner Parlaments, im Rahmen der Feierlichkeiten zum nationalen Holocaust-Gedenktag (27. Januar) vergeben, mit Unterstützung durch das Berliner Abgeordnetenhaus und das Leo-Baeck-Institut (New York).
Wie Arthur Obermayer in seiner Rede von 2007 in Erinnerung rief, verfolgte er bei der Gründung der Awards drei Ziele.
„Das erste war, Deutsche zu ehren, die auf ehrenamtlicher Basis so Außerordentliches geleistet haben, um die jüdische Geschichte und das Erbe ihrer eigenen lokalen Gemeinden zu bewahren. Mein zweites Ziel bestand darin, zu erreichen, dass ihre Leistungen auch von ihren Familien, ihren Gemeinden und ihrem Land anerkannt werden. Mein drittes Ziel war, den Jüdinnen und Juden in der ganzen Welt zu zeigen, dass sich das heutige Deutschland sehr stark vom Deutschland der Hitlerzeit unterscheidet. Es ist höchste Zeit, dass wir nicht länger Vorurteile gegenüber den heutigen Deutschen hegen, sondern sie für die Werte schätzen, die sie heute vertreten. Alle drei Ziele sind erreicht worden, weit über meine Erwartungen hinaus.”
Bei der Gründung der Awards, so Judith Obermayer, dachten sie und ihr Mann, dass sich die Verleihung der Obermayer Awards mit der Zeit erübrigen würde. Im Laufe der Jahre, so glaubten sie, würde sich der Holocaust zunehmend wie eine lang zurückliegende Erinnerung anfühlen und immer weniger Menschen würden diese Art von Arbeit leisten. Tatsächlich ist dies aber nicht geschehen, da sich neue Generationen für die deutsch-jüdische Geschichte und Kultur zu interessieren begannen. „Wir sprechen hier nicht über die Generation des Holocaust, sondern über jüngere Menschen, sehr oft sehr viel jüngere Menschen, die nicht das Gefühl hatten, sich schuldig für das fühlen zu müssen, was passiert ist, die aber eine Verantwortung dafür empfanden, den jüdischen Beitrag zu ihrer Gesellschaft zu bewahren", sagt sie.
„Dies war niemals als ,Holocaust-Preis’ gedacht", fügt sie hinzu. „Wir wollten uns auf Juden im positiven Sinne konzentrieren und auf den positiven Beitrag, den sie für und in Deutschland geleistet haben.”
Der Aufstieg der Rechten in Deutschland hatte bereits vor Arthur Obermayers Tod im Jahr 2016 begonnen, worüber er sich sehr besorgt zeigte. Preisträger*innen des Obermayer Awards haben sich aufgrund ihres Interesses an der deutsch-jüdischen Geschichte und Kultur oft auch für die Bekämpfung von Antisemitismus und Vorurteilen aller Arten engagiert. Vor seinem Tod mahnte Arthur Obermayer seine Familie, sich nicht davor zu scheuen, sich an die veränderten Zeiten und Bedürfnisse anzupassen.
Der Vorstand der Obermayer Stiftung - Judith Obermayer, Hank Obermayer, Joel Obermayer und Marjorie Raven - gründete Widen the Circle im Jahr 2019 mit Joel Obermayer als Geschäftsführer. Widen the Circle verfolgt das Ziel, Vorurteile zu begegnen, indem man ein gemeinsames Verständnis der Vergangenheit fördert, wie es die Obermayer-Preisträger*innen schon seit vielen Jahren tun. Im Jahr 2020 wurden die Obermayer Awards erweitert, um eine Reihe von Einzelpersonen und Gruppen auszuzeichnen, die sich in ihrem Umfeld für die Bekämpfung von Vorurteilen engagieren und sich mit der geschichtlichen Entwicklung auseinandersetzen, aus der diese Vorurteile erwachsen konnten.
„Jetzt leben wir in einer Welt, die zunehmend von Vorurteilen und Antisemitismus geprägt ist, und deshalb wird es umso wichtiger, das, was wir gelernt haben, zu nutzen, um mit dem Hass in der heutigen Welt umzugehen", sagt Judith Obermayer.
Die Obermayer Awards und Widen the Circle werden auch weiterhin diejenigen Deutschen würdigen, die sich dieser so wichtigen Arbeit widmen.
THIS WALL BRINGS PEOPLE TOGETHER
Students at this Berlin elementary school, built on the site of a synagogue, have been building a wall for the past two decades. It delivers a powerful message about community.
A NAZI LEGACY, A LIFE GIVING BACK
Hilde Schramm has spent her adult life fighting racism and intolerance. And she doesn’t shy from her family history as the daughter of an infamous Nazi leader.
STUDENTS REACHING STUDENTS
When a handful of ninth graders from Berlin met Rolf Joseph in 2003, they were inspired by his harrowing tales of surviving the Holocaust. So inspired that they wrote a popular book about his life. Today the Joseph Group helps students educate each other on Jewish history.