Obermayer German Jewish History Award

Ernst und Brigitte Klein

Volksmarsen, Hessen

Im Jahr 1985, anlässlich des 850. Geburtstags der Stadt Volkmarsen, beteiligte sich Ernst Klein an Recherchen zum reichen jüdischen Erbe seiner Stadt – und stellte mit Entsetzen fest, dass lediglich 2 der insgesamt 500 Seiten umfassenden Geschichte der Stadt diesen Teil der Vergangenheit behandelten.

Daraufhin machte er sich gemeinsam mit seiner Frau Brigitte und einem halben Dutzend Mitbürger daran, „unsere eigenen Recherchen zur jüdischen Geschichte anzustellen. Diese Arbeit brachte uns dann auch darauf, dass man herausfinden müsste, wohin die von hier stammenden Menschen [nach dem Krieg] gegangen waren, um ihre Geschichte zu erzählen.“

Aus dieser Gruppe entwickelte sich der gemeinnützige Verein „Rückblende – Gegen das Vergessen e.V.“, der unter anderem den jüdischen Friedhof der Stadt wieder hergestellt und ein Informationszentrum zur jüdischen Geschichte aufgebaut hat. Im Zentrum der Arbeit steht jedoch die Suche nach Angehörigen ehemaliger Volkmarser Juden – die dadurch entstandenen Verbindungen sind inzwischen enger als man sich jemals vorgestellt hatte.

„Viele, die wir einluden, fragten: ,Warum tun Sie das, warum sollten wir kommen?‘ Sie hatten Angst und fühlten sich unwohl bei dem Gedanken, wieder einen Fuß nach Deutschland zu setzen“, erinnert sich Klein. Seine Antwort war: „Wir möchten nur von Ihnen erfahren, was Sie durchgemacht haben und zeigen, dass die Menschen in Deutschland heute anders sind, dass heute andere Menschen in diesem Land leben.“

Seit 1996 organisiert der Verein alle zwei Jahre Begegnungswochen, in denen jüdische Familien aus aller Welt, von Australien bis Israel, von Seattle bis New York ihre nordhessische Vergangenheit entdecken. Inzwischen haben sie bei Familien übernachtet, die sie vorher nicht kannten, sind nächtelang aufgeblieben, um den Kleins und anderen ihre Lebensgeschichte zu erzählen, und es sind bleibende, Generationen übergreifende Bindungen und Freundschaften entstanden.

Bei einer dieser denkwürdigen Begegnungen erzählten die Kleins Ilse Lichtenstein Meyer von einem ihrer Verwandten, einem Schneider: Er hatte Ernst Kleins Großvater im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet und starb später in Sobibor. Unter Tränen umarmte Ilse Meyer daraufhin Ernst Klein: „50 Jahre lang empfand ich für Deutschland und die Dinge, die hier geschehen waren, nur Hass – durch diesen Besuch habe ich meinen Hass überwunden.“

„Vieles hat sich im Denken der Menschen hier geändert“, berichtet Klein (64), der seit 40 Jahren mit seiner Frau Brigitte verheiratet ist und gemeinsam mit ihr im Verein arbeitet. Vor vielen Jahren gründeten die Kleins ihr eigenes Türen- und Fensterbauunternehmen, das sie noch heute erfolgreich führen. Die meisten Kleinunternehmer haben wenig Freizeit, um „die Welt zu heilen“, aber die Kleins fühlten das Bedürfnis, mehr zu tun. Sie sind Partner in der unermüdlichen Arbeit für das Gedenken an die jüdische Vergangenheit.

„Man sieht, dass da so viele Fragen sind“, erklärt Klein. „Ob jung oder alt – durch individuelle, persönliche Geschichten haben die Besucher hier vieles erfahren, wovon sie vorher nichts wussten.“

Klein selbst erinnert sich, wie sein Vater ihm als Junge bei Spaziergängen durch Volkmarsen zeigte, wo früher einmal um die 200 Juden gelebt und gearbeitet hatten. „Meine Frage war immer: ,Wer hat da gelebt, und was ist später mit ihnen passiert?‘“, so Klein. 1985 stellte er sich diese Frage erneut und begann Antworten zu suchen, und 1994 gründete er in diesem Sinne gemeinsam mit 20 anderen Menschen den Verein „Rückblende – gegen das Vergessen“. „Ich dachte, wir müssten bald etwas tun, weil die Menschen nicht mehr lange leben werden“, erzählt Klein. „Wir müssen diese Menschen finden.“

Der Verein verzeichnet inzwischen über 125 Mitglieder in 30 Orten der Region. Gemeinsam hat man viel erreicht: So wurde zum Beispiel der Eingang des Volkmarser jüdischen Friedhofs, auf dem die Nationalsozialisten im Krieg 118 Grabsteine zerstört hatten, neu gestaltet. Eine 18 Meter lange Gedenkmauer – als symbolische Brücke aus polnischem Sandstein errichtet – erinnert an die während der Shoah ums Leben gekommenen Juden. Tafeln außen an der Mauer tragen die Namen aller 22 Opfer sowie ihre Geburts- und Todesdaten. 

„Viele Menschen, die noch nie über dieses jüdische Kapitel der Geschichte nachgedacht haben, können durch diese Mauer etwas darüber erfahren und sich dafür interessieren“, so die Kleins. Ernst und Brigitte Klein setzten sich auch für die Einrichtung einer Geschichtswerkstatt zum Thema der Volkmarser Juden ein, in der eine Ständige Ausstellung Dokumente und Geschichten von Überlebenden zeigt. Ursprünglich befand sich die Ausstellung in einer örtlichen Schule, inzwischen ist sie jedoch in eine schöne 100 Jahre alte Villa umgezogen und wird dort neu eingerichtet. Laut Klein fehlen zur Ergänzung der zahlreichen Texte jetzt vor allem noch weitere Fotos und Videos für eine Anfang 2009 geplante Ausstellung.

Zweimal im Jahr – am 9. November und am 27. Januar, anlässlich der Reichspogromnacht bzw. der Befreiung von Auschwitz – veranstaltet der Verein weithin beachtete Gedenkveranstaltungen, um die Erinnerung in der Kasseler Region wach zu halten.

Carol Davidson Baird aus Kalifornien lobt „die herausragende Arbeit, mit der sie die Menschen an die ehemaligen jüdischen Bürger von Volkmarsen und ihren Beitrag zur Gesellschaft erinnern, von der ersten Ankunft bis zur letzten Deportation während der Shoah.“ Larry Hamberg aus New York kommentiert aus persönlicher Sicht: „Dank der Kleins und ihres Vereins konnte ich meinen Kindern zeigen, woher sie kommen und warum wir Juden damals fliehen mussten. Sie arbeiten unermüdlich daran, ihren Landsleuten, besonders den jungen Menschen, die Lehren des Holocaust zu vermitteln.“

Im November 2008 wurde Ernst und Brigitte Klein für ihre Arbeit eine doppelte Ehrung zuteil: Im Auftrag des Bundespräsidenten verlieh der hessische Staatsminister Wilhelm Dietzel Brigitte Klein die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und Ernst Klein das Verdienstkreuz am Bande. Einen Einblick in die umfangreichen Arbeiten, die das Ehepaar initiiert hat, gibt die Website des Vereins, www.rueckblende-volkmarsen.de

Was man dort natürlich nicht sehen kann, ist der Wunsch nach Versöhnung und das tiefe Gefühl der Verbundenheit, das die Kleins und ihre Unterstützer mit den Holocaust-Überlebenden und ihren Angehörigen in aller Welt teilen.

„Ich habe so viele Briefe, in denen die Menschen sagen: ,Das Gefühl bei der Abreise war so viel besser als bei unserer Ankunft.‘ Sie hatten Angst, sie wussten nicht, was sie erwartete, und sie hatten schlechte Erinnerungen – und dann kamen sie hierher und fanden nach zwei Tagen neue Freunde“, so Klein.

Die Kleins wissen, dass man eine gemeinsame „neue Zukunft“ von Deutschen und Juden nicht allein in Volkmarsen aufbauen kann. Aber „wenn Freunde aus dem Ausland kommen, sehen sie, was unsere kleine Stadt erreicht hat. Und es ist schön sagen zu können, dass wir nicht allein sind, dass es überall in Deutschland Gruppen wie unsere gibt, die sich mit aufrichtiger Arbeit für die Verständigung einsetzen.“

 
 

THIS WALL BRINGS PEOPLE TOGETHER

Students at this Berlin elementary school, built on the site of a synagogue, have been building a wall for the past two decades. It delivers a powerful message about community.

 

STUDENTS REACHING STUDENTS

When a handful of ninth graders from Berlin met Rolf Joseph in 2003, they were inspired by his harrowing tales of surviving the Holocaust. So inspired that they wrote a popular book about his life. Today the Joseph Group helps students educate each other on Jewish history.

 

“I SPEAK FOR THOSE WHO CANNOT SPEAK”

Margot Friedländer’s autobiography details her struggles as a Jew hiding in Berlin during World War II. Now 96, she speaks powerfully about the events that shaped her life and their relevance today.