Obermayer German Jewish History Award
Jürgen Sielemann
Hamburg
Für Millionen von Emigranten war der Hamburger Hafen einst das Tor zur Zukunft. Für Reisen in die Vergangenheit ist heute das Staatsarchiv der Hansestadt ein solcher Ausgangspunkt—insbesondere auch, weil der 59-jährige Jürgen Sielemann, Experte für Juden und andere Minderheiten, vielen den Weg ebnet. Seine Aktivitäten gehen weit über das in seinem Beruf als Archivar geforderte hinaus. Tausenden hat er geholfen, die Türen zur Geschichte zu öffnen, auch schon zu Zeiten als viele sie lieber verschlossen gehalten hätten. Weithin ist er als Kapazität der Genealogie anerkannt. Dank seiner Initiative und jahrelangen Bemühungen konnte das Archiv eine herausragende Rolle bei der Erschließung neuer Quellen für die Forschung übernehmen. Für die Genealogie fundamentale Quellen wurden als Datenbank im Internet zugänglich gemacht. Er gründete Deutschlands erste und einzige Gesellschaft für Jüdische Genealogie und inspirierte die Forschung mit seinen Ideen und Veröffentlichungen. Sein Gedenkbuch erinnert an fast 9.000 Opfer.
Viele schätzen nicht nur seinen trockenen Humor, der sich gelegentlich in kurzem Auflachen Bahn bricht und seine hanseatische Höflichkeit um eine Note Liebenswürdigkeit bereichert. Wenn Sielemann redet, wird schnell klar, warum der Hamburger als Mensch mit enzyklopädischem Wissen und fester Überzeugung gilt. “Ruhig und gelassen geht er an die Sachen heran, ohne groß Aufhebens von sich zu machen, aber er lässt nicht locker, den Dingen nachzugehen”, sagt Gabriela Fenyes, Journalistin und früheres Vorstandsmitglied der Hamburger Jüdischen Gemeinde.
Zahlreiche Aktenordner füllt die Korrespondenz mit Genealogen und Ex-Hamburgern zu Anfragen und Nachforschungen, die er seit den siebziger Jahren in seiner Freizeit bearbeitete. Lange arbeitete er daran, dieses Netzwerk zu institutionalisieren. 1996 gelang es ihm, als er die Gründung der Hamburger Gesellschaft für Jüdische Genealogie initiierte. Bis 2001 hatte er den Vorsitz inne, heute ist er der Vize.
Viele sind ihm wegen seines außergewöhnlichen Engagements dankbar. Miriam Gillis-Carlebach, die Tochter des letzten Hamburger Oberrabiners, ist eine von ihnen. Nach 45 Jahren kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück, um Klarheit über das Schicksal ihrer Eltern und Schwestern zu erhalten. Mit Sielemanns Hilfe fand sie den Namen der deutschen Familie heraus, die bis zur Deportation ihrer Eltern in der gleichen Wohnung lebte. Sie wollte sie unbedingt treffen und hatte doch Angst davor. “Ich wusste nicht, wie ich hinkommen sollte, also begleitete er mich”, erinnert sie sich, “und er kaufte sogar noch Blumen, damit dieses extrem nervenaufreibende Treffen für mich etwas leichter würde.”
Lange Zeit fand sein persönliches Engagement jedoch wenig Unterstützung. Wegen eines allgemeinen Interesses an Geschichte ging er 1966 zum Hamburger Staatsarchiv und wählte “halb aus Zufall” Juden und andere Minderheiten zu seinem Aufgabenbereich. Verantwortlich für ein Thema, das manchen seiner Kollegen und Historikern wie auch sonst vielen in Deutschland unangenehm war, erreichten ihn selten Anfragen aus Wissenschaft oder Medien. “Ich fühlte mich wie ein Außenseiter – wie auf einer Insel”, erinnert sich Sielemann. Doch inmitten des allgemeinen Schweigens wurde er durch die Akten und den Kontakt mit Überlebenden des Holocaust mit der Vergangenheit konfrontiert. “Ich bemerkte schnell, welchen Reichtum die jüdischen Gemeinden einst für Deutschland bedeutet hatten”, erinnert er sich, “und ich sah, wie niederträchtig Juden auch nach dem Krieg behandelt wurden.”
Seit den achtziger Jahren klärt Sielemann unermüdlich auf über Emigration von Hamburg aus und die Bedeutung der Quellen dazu im Staatsarchiv. Dank seines Einsatzes werden nun die Listen von fünf Millionen zumeist osteuropäischen Auswanderern, die den Weg über den Hafen der Hansestadt nahmen, ins Internet gestellt – ein genealogischer Schatz. Auch hat er die Quellenbasis für historische Forschung entscheidend erweitert. “Aufgrund seiner jahrelangen Bemühungen kamen die für die Forschung zum Nationalsozialismus eminent wichtigen Akten der Oberfinanzdirektion ins Staatsarchiv ”, erklärt Ina Lorenz, Vize-Direktorin des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden.“ Er spielt sich nicht in den Vordergrund, aber er ist derjenige, der die Kernerarbeit macht.” Auch die Hamburger Jüdische Gemeinde vertraute ihr Nachkriegsarchivgut dem Archiv an.
Gerade weil Sielemann so früh um die Bedeutung der Jüdischen Gemeinde in Hamburg wusste, wurde Genealogie in seinen Augen ein Instrument, deutsch-jüdische Geschichte und Identität zu ergründen. “Ich wollte Hamburg eine Institution zurückgeben, die es schon vor der Nazi-Zeit gab und die ein Teil der jüdischen Kultur war”, sagt er. “Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, die Idee einer genealogischen Gesellschaft in anderen deutschen Städten zu verbreiten, aber ich bin optimistisch, dass das noch passieren wird.”
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