Obermayer Award

Zeitgemäße Geschichtsvermittlung in einer Region mit starker Neonazi-Szene

Von geschichtlichen Wanderseminaren bis hin zu Comicbüchern zum Thema Zivilcourage: Das AKuBiZ verfolgt kreative Ansätze zur Bekämpfung von Hass und Intoleranz.

Um zu verstehen, mit welchen Herausforderungen das AKuBiZ, ein kleiner Verein in der Sächsischen Schweiz, konfrontiert ist, sollte man die Landschaft verstehen – nicht nur im geographischen Sinne. Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz, kurz AKuBiZ, engagiert sich seit 20 Jahren gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus.

Der Verein sitzt in Pirna, rund 26 km südöstlich von Dresden. Die Region ist ein Paradies für Outdoor-Fans, mit 1.100 freistehenden Sandsteinfelsen, um die 27.000 Kletterwegen und fast 1.200 km Wanderwegen, ganz zu schweigen von zahlreichen Mountainbike- und Fahrradrouten oder Angeboten für Kanu- und Paddelboottouren.

Für das AKuBiZ ist allerdings vor allem die politische Landschaft entscheidend. Die Sächsische Schweiz gehört zu den Regionen in Deutschland mit der größten Konzentration von Neonazis. Von den 250.000 Menschen, die in Pirna und dem Umland leben, unterstützt rund ein Drittel rechte Parteien und Ideologien.

Die Region ist nicht nur ein Kristallisationspunkt für neonazistische Proteste und Gewalt, sondern auch für rechte Musik. 1997 wurde eine Neonaziband, deren Texte nur so vor Antisemitismus und Hass strotzen, in einem von der größten Lokalzeitung und einer örtlichen Sparkasse gesponserten Wettbewerb als Newcomerband des Jahres ausgezeichnet. Der Frontmann der Band war Gründungsmitglied der heute verbotenen Neonazi-Kameradschaft „Skinheads Sächsische Schweiz“, kurz SSS.

Ein steiniges Terrain, geographisch wie politisch, wie Steffen Richter, Mitgründer des Vereins, quasi am eigenen Leib zu spüren bekam. Im Jahr 2001 wurde sein Auto zunächst beschädigt und später in Brand gesteckt. Das Auto wurde aufgebrochen, die Sitze mit Benzin übergossen und angezündet. Sein Fahrzeug wurde zerstört, ein weiteres beschädigt. Zu einer Verhaftung oder Verurteilung kam es in der Sache nie.

Der Situation zum Trotz fanden im gleichen Jahr Richter und 15-20 weitere Jugendliche den Mut zur Gründung eines Alternativen Jugend- und Kulturzentrums. Ziel war ursprünglich, ein eigenes Haus zu erwerben und so Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung für Jugendliche zu schaffen. Dies scheiterte jedoch, unter anderem wegen fehlender Finanzmittel. Die Gruppe begann Vorträge zu Symbolen der Neonaziszene und aktuellem Antisemitismus zu halten; Bildungsangebote für die Menschen in der Region wurden immer wichtiger, die Ausrichtung des Vereins veränderte sich entsprechend. 2005 folgte die Umbenennung in „Alternatives Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz e.V.“.

Die Aktiven erkannten schnell, dass es darauf ankam, zeitgemäße Wege zur Vermittlung der Geschichte in der Region zu finden. Anne Nitschke, Anwältin für Migrationsrecht und Mitglied im AKuBiZ-Vorstand, erklärt in ihrer ruhigen Art, dass es ihnen „wirklich wichtig war, Geschichte leicht zugänglich zu machen.“ Sie fügt hinzu, dass es eine Sache ist, über Auschwitz und Sobibor zu reden, aber etwas ganz anderes, den Menschen in der Region zu zeigen, dass es in der eigenen Nachbarschaft ein Konzentrationslager, Mord und Verfolgung gegeben hatte.

Der Dresdener Michael Nattke stimmt zu. Er hat an mehreren AKuBiZ-Aktivitäten teilgenommen und hält eine zeitgemäße Geschichtsvermittlung, die einen Bezug zur heutigen Zeit herstellt, ebenfalls für entscheidend. „Für manche Jugendliche ist der Nationalsozialismus irgendeine Zeit so kurz nach dem Mittelalter“, sagt er. „So ordnen sie das für sich ein.“ Nattke fügt hinzu, dass der Ansatz des AKuBiZ, Orte in der Region zu besuchen, an denen antisemitische Vorfälle stattgefunden haben, die Orte und Verbrechen sichtbarer macht. 

Ab 2006 wurden einige herausragende Projekte auf den Weg gebracht. Bei einem Antirassistischen Fußball-Cup gewann nicht das Team, das die meisten Tore erzielte, sondern das Team, das den Gedanken des Fairplay am besten umsetzte. Ein Rahmenprogramm bot unter anderem Quiz-Spiele, Ausstellungen und Bastelaktivitäten. Neben Pirnaer Gruppen traten auch Teams der Jüdischen Gemeinde Dresden, Teams von Asylsuchenden oder tschechische Teams gegeneinander an.

[Das] lässt einen nicht kalt.
— Anna Eulitz

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2007 kam das erste Comicbuch des AKuBiZ heraus, das aufgrund der großen Nachfrage in drei Auflagen erschien und inzwischen vergriffen ist. Gedacht war es als Hilfe für Jugendliche, die mit rechter Gewalt konfrontiert sind. Ein Folgeband erschien im Jahr 2016.

2008 wurde das Online-Portal gedenkplaetze.info eingerichtet, ein Online-Atlas zur Geschichte des Nationalsozialismus in der Region. Darüber hinaus wurden im Laufe der Jahre mit Unterstützung des Lokalhistorikers Hugo Jensch mehrere Ausstellungen realisiert. 

Ein weiteres Projekt, das 2008 buchstäblich auf den Weg gebracht wurde, sind die beliebten Wanderseminare, die zu Orten mit Bezug zur NS-Verfolgung in der Region führen. Richter erklärt, dass die Idee auf ähnliche Projekte in Italien zurückgeht, wo geführte Wanderungen beispielsweise den historischen Partisanenwegen im antifaschistischen Kampf gegen Mussolini folgen. Anfangs nahmen um die 20 Menschen an den AKuBiZ-Wanderungen teil, später mehr als 60.

Eines der Wanderziele ist Burg Hohnstein, heute ein Hotel und Veranstaltungsort. Die Burg war früher eine der größten Jugendherbergen Deutschlands und wurde in den 1930er Jahren als Konzentrationslager (damals „Schutzhaftlager“) für kommunistische, jüdische und andere verfolgte Menschen genutzt. Auf einer anderen Wanderung erfahren die Teilnehmenden etwas über das Schicksal der jüdischen Familie Scooler, die eine Papierfabrik betrieb. Ein Sohn starb mit seiner Familie im Holocaust, sein Bruder und die Mutter überlebten und emigrierten schließlich in die USA. 

Die Wanderungen stehen, so Richter, für das Kernanliegen des Vereins, sich lokal zu engagieren und den Menschen in der Region zu zeigen, dass die Entschuldigung „Wir wussten nicht, was da passiert“, nicht gilt. „Da arbeiteten 1.000 Häftlinge im Steinbruch“ an der Burg Hohnstein. „Jeder, der dort lebte, konnte die Häftlingskolonnen durch die Orte ziehen sehen.“ 

Auf anderen Wanderungen geht es an die tschechische Grenze, über die verfolgte Antifaschisten während der NS-Zeit in die damalige Tschechoslowakei flohen, oder zu den Sammelstellen, von denen aus die Deportation in die Konzentrationslager erfolgte. „Wir wollen zeigen, dass die Geschichte hier stattgefunden hat, mit den Menschen von hier, sowohl Opfer als auch Täter“, sagt Richter.

Burg Hohnstein ist am Wochenende mit seinem Restaurant ein beliebtes Ausflugsziel für Erholungsuchende aus Dresden. „Ich wusste nicht, dass es dort ein Konzentrationslager gab“, erzählt Nattke. „Wenn man das weiß, kriegt der Ort eine ganz neue Bedeutung.“

Nattke kam über Freunde zu den Wanderungen und wusste zunächst nicht so genau, was ihn erwartete. Im Laufe der Zeit lernte er auf diesen Wanderungen viel über Widerstandskampf und NS-Verfolgung. „Ich glaube, nur wenige kennen die NS-Geschichte dieses Ortes. Darüber ist in der Bevölkerung kein Wissen da …, dass es im Gebirge mehrere Konzentrationslager oder Außenlager gab. Oder dass es Widerstand gab und sich Menschen in den Felsen versteckt haben. Das ist nicht so bekannt“, sagt er. 

Neue Angriffe

Gemessen daran, dass Anfang der 2000er Jahre noch das Auto eines der Gründungsmitglieder in Brand gesteckt wurde, erlebte der Verein in den 2010er Jahren zunächst eine positive Entwicklung. „Hätte man mich 2012 gefragt, wie es geht, wäre die Antwort ,ziemlich gut‘ gewesen“, sagt Richter. „Die Zivilgesellschaft schien gestärkt und es gab Unterstützung in einigen Städten.“ Und dann kam 2015. 

Mit dem Zustrom von einer Million Geflüchteter nach Deutschland, viele aus Kriegsregionen wie Syrien und Afghanistan, kehrte sich die bis dahin stetig gewachsene Akzeptanz der antirassistischen Botschaft des AKuBiZ ins Gegenteil. Bis 2015 war für Richter klar, wo man besser nicht hinging, um Neonazis aus dem Weg zu gehen. Dazu zählte zum Beispiel der Bahnhof nach einem Fußballspiel, weil sich dort die Neonazis sammelten. Die „No-go-Zonen“ waren relativ klar abgegrenzt. „Ich konnte mich einigermaßen sicher fühlen, solange ich bestimmte Bereiche vermied“, sagt er.

Nach 2015 galt das nicht mehr.

Die Angriffe und Beleidigungen „folgten keinem Muster mehr“, so Richter. Plötzlich konnte es vorkommen, dass ein so genanntes „ganz normales Ehepaar“ mittleren Alters Menschen auf der Straße einfach so anspuckte oder die Luft aus den Reifen eines vor einem Geschäft geparkten Fahrrads ließ.

„Es wurde viel unübersichtlicher und schwerer, damit umzugehen“, sagt er, weil man praktisch überall mit Beleidigungen oder Angriffen rechnen musste. Der jährliche Fußball-Cup des AKuBiZ fand im Jahr 2015 aufgrund massiver rassistischer Drohungen und Angriffe zum letzten Mal statt, nachdem Teams bedroht und die Fenster des AKuBiZ-Büros eingeschlagen worden waren.

Trotz alledem erhält der Verein sein vollständig ehrenamtlich organisiertes Engagement aufrecht. Die Freiwilligen investieren in ihrer Freizeit zahllose Stunden in die Leitung von Workshops und Wanderungen oder Recherchen für Schulprojekte. „Ich finde das beeindruckend“, sagt Nattke. „Es ist unglaublich, was sie auf die Beine stellen.“

Auch von dem derzeit schwierigen politischen Klima und den aktuellen Corona-Beschränkungen lässt sich das AKuBiZ nicht ausbremsen. Für dieses Jahr ist geplant, die Aktualisierung der Ausstellung „Jüdisches Leben in Pirna und der Sächsischen Schweiz“ und die Erweiterung der interaktiven Website gedenkplaetze.info in Angriff zu nehmen.

Die Landschaft soll ebenfalls bald wieder eine Rolle spielen, politisch wie geographisch. Derzeit sind die Wanderungen des AKuBiZ pandemiebedingt ausgesetzt, aber ab Juni 2021 soll es wieder raus in die Sächsische Schweiz gehen.

 
 

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